72 Tage in der Hoelle
Start war Julio Ferradas, der Pilot der Fairchild, wegen ungünstiger Wettervorhersagen gezwungen gewesen, eine Zwischenlandung einzulegen.
Wir setzten um die Mittagszeit in Mendoza, einer alten spanischen Kolonialstadt unmittelbar östlich des Anden-Vorgebirges, auf und hofften, in ein paar Stunden wieder in der Luft zu sein. Doch die Wetterberichte waren alles andere als ermutigend, und schon bald war klar, dass wir über Nacht bleiben mussten. Niemand hatte Lust, unnötig Zeit zu verlieren, aber Mendoza erwies sich als hübscher Ort, und so machten wir das Beste aus unserer Zeit dort. Ein paar von unseren Jungs setzten sich in die Straßencafés an den breiten, baumbestandenen Boulevards, andere gingen in der Altstadt auf Besichtigungstour. Ich schloss mich einer Gruppe an, die nachmittags zu einer Rennstrecke außerhalb von Mendoza fuhr, um sich ein Autorennen anzusehen. Abends gingen wir ins Kino; andere waren mit ein paar Mädchen aus Argentinien, die sie kurz zuvor kennen gelernt hatten, zum Tanzen verabredet. Meine Mutter und Susy erkundeten die malerischen Geschäfte der Stadt, kauften Geschenke für Freunde in Chile und Souvenirs für die Daheimgebliebenen. Meine Mutter freute sich besonders, als sie in einer kleinen Boutique ein Paar rote Babyschuhe fand, denn die waren das ideale Mitbringsel für den neugeborenen Sohn meiner Schwester Graciela.
Am nächsten Morgen schliefen die meisten von uns lange. Wir wollten nichts wie weg von hier, doch von Abflug war immer noch keine Rede. Also sahen wir uns noch ein bisschen in Mendoza um, bis wir schließlich die Nachricht erhielten, uns Punkt 13 Uhr am Flughafen einzufinden. Als wir hinkamen, stellten wir jedoch fest, dass Ferradas und sein Copilot Dante Lagurara sich immer noch nicht entschieden hatten, ob wir fliegen würden. Auf diese Nachricht reagierten wir frustriert und verärgert, aber keiner von uns begriff, vor welcher schwierigen Frage die Piloten standen. In den Wetterberichten vom Vormittag wurde vorTurbulenzen auf unserer Flugroute gewarnt, doch Ferradas hatte mit dem Piloten einer Frachtmaschine gesprochen, die kurz zuvor aus Santiago eingetroffen war, und war recht zuversichtlich, dass die Fairchild das schlechte Wetter gefahrlos überfliegen konnte. Das eigentliche Problem war die Tageszeit. Es war bereits früher Nachmittag. Bis die Passagiere an Bord und alle Formalitäten mit den Flughafenbehörden erledigt waren, würde es nach 14 Uhr werden. Und nachmittags, wenn warme Luft aus dem argentinischen Vorgebirge aufsteigt und auf die kalte Luft über der Schneegrenze trifft, entstehen in der Atmosphäre über dem Gebirge gefährliche Instabilitäten. Unsere Piloten wussten, dass dies die gefährlichste Zeit für einen Flug über die Anden war. Wo diese Strömungswirbel zuschlagen würden, ließ sich nicht vorhersagen, und wenn sie uns erwischten, würden sie das Flugzeug herumwerfen wie ein Spielzeug.
Andererseits konnten wir nicht in Mendoza bleiben. Unser Flugzeug, eine Fairchild F-227, war von der uruguayischen Luftwaffe geleast. Nach den argentinischen Gesetzen durfte eine ausländische Militärmaschine sich nicht länger als 24 Stunden auf argentinischem Boden aufhalten. Da diese Zeit fast um war, mussten Ferradas und Lagurara sich schnell entscheiden: Sollten sie den nachmittäglichen Flugbedingungen trotzen und Kurs auf Santiago nehmen, oder war es besser, nach Montevideo zurückzukehren und unserem Ausflug damit ein vorzeitiges Ende zu bereiten?
Während die Piloten hin und her überlegten, wuchs unsere Ungeduld. Wir hatten bereits einen Tag unserer Chilereise geopfert und wollten nicht noch mehr Zeit verlieren. Wir waren junge Männer, furchtlos, selbstbewusst und voller Tatendrang, und es ärgerte uns, dass unsere kleine Reise wegen der vermeintlichen Ängstlichkeit unserer Piloten insWasser fallen sollte. Diese Gefühle verheimlichten wir nicht. Als wir die Piloten am Flughafen sahen, spotteten und pfiffen wir. Wir machten uns über sie lustig und stellten ihre Fähigkeiten infrage. »Wir haben euch engagiert, damit ihr uns nach Chile bringt«, rief jemand, »und wir wollen, dass ihr das macht!« Ob unserVerhalten ihre Entscheidung beeinflusste, kann niemand sagen – es gab ihnen sicherlich zu denken -, jedenfalls trat Ferradas nach einer letzten Besprechung mit Lagurara auf uns zu und blickte sich in der Runde um. Ungeduldig warteten wir auf seine Antwort. Er gab bekannt, der Flug nach Santiago werde fortgesetzt.Wir quittierten
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