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72 Tage in der Hoelle

72 Tage in der Hoelle

Titel: 72 Tage in der Hoelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nando Parrado , Vince Rause , Sebastian Vogel
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tauchten zerklüftete Vorgebirge auf, dann hob und krümmte sich die Erde zu den Ehrfurcht gebietenden Windungen echter Berge. Bergrücken mit der Form von Haifischflossen erhoben sich wie emporstrebende schwarze Segel. Bedrohliche Gipfel ragten in die Höhe wie riesige Speerspitzen oder zerbrochene Axtschneiden. Enge Gletschertäler klafften zwischen steilen Abhängen und bildeten Ketten aus tiefen, gewundenen, schneegefüllten Korridoren, die ein wildes, endloses Labyrinth aus Eis und Gestein bildeten. Auf der Südhalbkugel hatte der Winter gerade dem Frühling Platz gemacht, aber in den Anden sanken die Temperaturen immer noch regelmäßig auf minus 50 Grad, und die Luft war trocken wie in der Wüste. Ich wusste, dass Lawinen, Schneestürme und tödliche, orkanartige Winde in diesem Gebirge an der Tagesordnung waren, und der vergangene Winter war einer der strengsten seit Menschengedenken gewesen; an manchen Stellen waren mehr als sechzig Meter Schnee gefallen. Farben waren in dem Gebirge überhaupt nicht zu erkennen, nur stumme Flecken in Schwarz oder Grau. Es gab nichts Weiches, nichts Lebendiges, nur Gestein und Schnee und Eis. Als ich in die zerklüftete Wildnis hinunterblickte, musste ich über die Arroganz all derer lachen, die jemals geglaubt hatten, der Mensch habe sich die Erde untertan gemacht.
    Während ich aus dem Fenster schaute, fiel mir auf, wie sich immer mehr Nebelschleier sammelten. Dann spürte ich eine Hand auf meiner Schulter.
    »Lass uns mal die Plätze tauschen, Nando. Ich möchte die Berge sehen.«
    Es war mein Freund Panchito, der neben mir auf dem Gangplatz saß. Ich nickte und erhob mich von meinem Sitz. Als ich mich gerade an ihm vorbeischieben wollte, rief jemand »Achtung, Nando!«, und ich konnte mich gerade noch rechtzeitig umdrehen, um einen Rugbyball aufzufangen, den jemand aus dem hinteren Teil der Kabine geworfen hatte. Ich spielte den Ball nach vorn weiter und ließ mich dann auf meinen Platz sinken. Alle um uns herum lachten und redeten, die Leute wechselten von einem Sitz zum anderen, setzten sich neben ihre Freunde, gingen den Mittelgang auf und ab. Einige Freunde, darunter mein alter Kumpel Guido Magri, spielten im hinteren Teil der Maschine mit dem Steward Karten, als der Ball jedoch in der Kabine herumflog, stand der Steward auf und versuchte, die Gemüter ein wenig zu beruhigen. »Weg mit dem Ball!«, rief er. »Hören Sie auf damit, und nehmen Sie bitte Ihre Plätze wieder ein!« Aber wir waren junge Rugbyspieler, wir waren mit unseren Freunden auf Reisen und hatten keine Lust, auf unseren Spaß zu verzichten. Unsere Mannschaft, die Old Christians aus Montevideo, war eine der besten in Uruguay, und wir nahmen unsere regelmäßigen Wettkämpfe sehr ernst. In Chile sollten wir nur ein Freundschaftsspiel bestreiten, also war es für uns eigentlich eine Urlaubsreise, und hier im Flugzeug herrschte eine Stimmung, als ob der Urlaub bereits begonnen hätte.
    Es machte mir Spaß, mit Freunden unterwegs zu sein, und mit diesen Freunden ganz besonders. Wir hatten so vieles gemeinsam durchgestanden – die Jahre des Lernens und Trainierens, die herzzerreißenden Niederlagen, die hart erkämpften Siege. Wir waren als Mannschaftskameraden aufgewachsen, hatten von den Stärken der anderen profitiert und gelernt, einander zu vertrauen, wenn wir unter Druck standen. Aber der Rugbysport hatte nicht nur unsere Freundschaft geprägt, sondern auch unseren Charakter. Wir waren füreinander zu Brüdern geworden.
    Viele von uns bei den Old Christians kannten sich schon seit über zehn Jahren, seit wir als Schülermannschaft unter Anleitung der Irish Christian Brothers an der Schule »Stella Maris« gespielt hatten. Die Christian Brothers waren Anfang der fünfziger Jahre aus Irland nach Uruguay gekommen; sie waren der Einladung einer Gruppe katholischer Eltern gefolgt, die sie gebeten hatten, in Montevideo eine katholische Privatschule zu gründen. Fünf irische Brüder richteten daraufhin 1955 das Stella Maris College ein, eine Privatschule für neun- bis sechzehnjährige Jungen. Sie lag im Stadtviertel Carrasco, wo die meisten ihrer Schüler wohnten.
    Das wichtigste Ziel einer katholischen Erziehung war für die Christian Brothers nicht die geistige, sondern die charakterliche Bildung; entsprechend spielten Disziplin, Frömmigkeit, Selbstlosigkeit und Respekt in ihren Lehrmethoden eine große Rolle. Um diese Werte auch außerhalb der Schule zu fördern, missbilligten die Brüder die

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