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73 - Der Dukatenhof

73 - Der Dukatenhof

Titel: 73 - Der Dukatenhof Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Antwort. „Ich habe mich hier versteckt und will erst zum Grab gehen, wenn alle Leute dann fortgegangen sind.“
    „Verstecken willst du dich vor deinem Vater? Weißt du, ob er nicht vielleicht auf dich wartet? Was gehen dich die anderen Leute an? Als ich sah, daß du allein warst, da habe ich sogleich das dunkle Kleid geholt und Rosen abgepflückt! Dann kam ich her zu dir, um dir die Hand zu geben, damit du jemand hast, der, wenn die Glocken zu läuten beginnen, mit dir zum Vater geht. Wirst es mir erlauben?“
    Da schlang die andere ihre Arme um das Herzle, zog es an sich und antwortete, indem sie laut aufweinte:
    „Du bist das Herzle, immer, stets das Herzle! Ich war ein stolzes, hochmütiges Bauernkind; nun aber bin ich arm, viel ärmer noch als du. Das Messer, weißt, das Messer, das hat nicht bloß den Vater getroffen, sondern auch mich, tief, tief in die Seele hinein. Darum hast du recht: Ich gehöre hin zu ihm, und du, du sollst mich führen.“
    „Ja, ich führe dich und gebe dir meine Rosen; die sollst du ihm noch schenken.“
    Da legte der Pfarrer seine Hände auf ihre beiden Köpfe und sprach:
    „Mir ist, als ob der Abgeschiedene mich bäte, dir, seinem Kind, seinen Segen zu erteilen, und dir, mein gutes Herzle, seinen Dank. Hört! Die Glocken klingen schon. Ihr geht mit mir hinaus. Denn jeder, der im Leid des Lebens steht, der steht in Gottes Hand und in seines Priesters Schutz!“
    Als sie aus dem Pfarrhaus traten, sahen sie, daß sich fast der ganze Kirchhof mit Menschen gefüllt hatte. Es gab viele, viele da, welche gegen ein solches ‚ehrliches‘ Begräbnis des Selbstmörders gewesen waren, nun aber der greise, im wahren Sinne christlich denkende Pfarrer es durchgesetzt hatte, daß seine Gemeinde ebenso zu vergeben habe, wie sie von Gott Vergebung erwarte, war man gekommen, um zu zeigen, daß die Tat verziehen sei. Der Tote hatte ja nur sich selbst gerichtet.
    Er lag im offenen Sarg über seinem offenen Grab. Das war so Sitte hier im Dorf. Die ganze aufgeworfene Erde wurde rund um die tiefe Grube aufgehäuft. Hierüber kamen zwei Querhölzer, auf welche der Sarg langgesetzt wurde. Der Deckel lag daneben. Die Adjuvanten und Kurrendaner sangen ein Lied. Hierauf hielt der Pfarrer über der unverhüllten Leiche seine Rede, worauf der Sarg geschlossen und hinabgelassen wurde, nachdem die Querhölzer entfernt worden waren. Und erst dann, wenn er unten lag, gab der Geistliche seinen Segen. Von einem Zunageln, Zuschrauben oder einer sonstigen Befestigung des Deckels pflegte keine Rede zu sein. Die Leisten schlossen auch ohne dies eng aneinander. Und die Schwere der nachgeschaufelten Erde machte jeden anderen Verschluß überflüssig.
    Zufälligerweise gab es morgen wieder ein Begräbnis. Das Grab war schon fertig. Es lag neben dem des Neubertbauern. Darum konnte die versammelte Menge von dieser Seite nicht ganz an das letztere herantreten. So standen in der unmittelbaren Nähe des Sarges also nur die dazu Berechtigten oder Verpflichteten. Das waren die Tochter mit dem Herzle, der Pfarrer, der Totengräber, die Träger des Sarges und die Mitglieder der Ortsbehörde, welche in diesem Fall offiziell anwesend zu sein hatten; zu ihnen gehörte auch der Musterwirt, weil er sich in den Kirchenvorstand hatte wählen lassen. Er hätte heute auf seine Obliegenheiten freilich mehr als gern verzichtet; aber der Geistliche hatte ihm gestern derart in das Gewissen gesprochen, daß es ihm geradezu unmöglich gewesen war, daheim zu bleiben.
    Er stand am Fußende des Grabes und schaute unausgesetzt in dieses hinab. Es war ihm durchaus unmöglich, die offen daliegende Leiche oder gar deren Gesicht anzusehen. Der Tote hatte die Augen noch immer offen, denn niemand war auf den Gedanken gekommen, ihm vor der eingetretenen Leichenstarre die Lider zuzudrücken.
    Das Lied wurde gesungen. Hierauf folgte die Begräbnisrede. Der Pfarrer verstand es, zum Herzen zu sprechen. Die Tochter des Verstorbenen schien sich in Tränen auflösen zu wollen; das Herzle weinte still, doch unausgesetzt vor sich hin, wobei sie die arme, neue Freundin fest an der Hand hielt. Wer von den übrigen nicht weinte, der war doch tief ergriffen. Der Musterwirt starrte immer in die Grube nieder; aber daß er hörte, was der Prediger sprach, das sah man ihm an. Er griff sich mit den Händen bald an das Herz, bald an die Kehle, als ob sie ausgetrocknet sei. Zuweilen holte er wie konvulsivisch Atem. Von Zeit zu Zeit nahm er den Hut vom Kopf und wischte sich

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