73 - Der Dukatenhof
und dann, dann habe ich ihn fest“, dachte Fräulein Rosalia, indem sie nach dem Gastzimmer ging. „Mein Mann muß er werden, unbedingt! Aber das Herrschen und das Befehlen, das bekommt er nicht. Das werde ich behalten!“
In der Stube des Musterwirts angekommen, setzte sich dieser an den Tisch, zog den Kasten heraus und griff nach einem Buch, welches drin lag. Der Lehrer aber trat sofort an das offene Fenster und schaute in einer Weise zu demselben hinaus, als ob ihn Herr Frömmelt gar nichts angehe.
„Herr Lehrer, Sie wissen wohl, wovon ich mit Ihnen reden will?“ fragte der Wirt, indem er zu dem Buch ein Päckchen legte, welches aus zusammengebundenen Postquittungen bestand.
„Nein“, antwortete der Gefragte kurz.
„Von meiner Tochter.“
„So! Ich dachte, eher von der Ausstellung. Mir aber gleich. Sie ist ja auch eine.“
„Was?“
„Eine Ausstellung, also für die Öffentlichkeit. Für das leise, stille Glück der Ehe ist sie nicht erzogen worden. Hierzu taugt sie nichts!“
Da sprang der Vater auf.
„Wozu sagen Sie mir das?“ rief er aus.
„Um Ihnen anzudeuten, daß ich für gewisse Pläne nicht zu haben bin. Ich kenne sie, weil sie mir nur allzuoft nahegelegt worden sind. Aber ich sage Ihnen in aller Freimütigkeit: Ich lasse mich nicht zwingen, mit Ihrer Tochter in die Stadt zu fahren, und noch viel weniger werde ich mich dazu pressen lassen, mit ihr durch das Leben zu kutschieren.“
„Herr Lehrer, ich bin fast Millionär!“
„Das ist nichts, gar nichts!“
„Aber was sind denn Sie? Sie sind mein Geschöpf!“
„Ihr – Geschöpf?“ fragte Bernstein staunend, indem er näher trat und den Wirt mit eisigem Blick scharf in das Auge nahm.
„Ja, mein Geschöpf! Das hätte ich niemals gesagt, auch jetzt nicht. Aber Sie weisen mir soeben meine Tochter zurück, ohne daß ich sie Ihnen angeboten habe. Wie kommen Sie dazu? Und wie kommen Sie so plötzlich zu dem Ton, in welchem es geschehen ist?“
„Infolge der oft wiederholten Andeutungen aus Ihrem eigenen Mund. Und besonders infolge der Szene, welche Fräulein Rosalia mir jetzt, bevor Sie kamen, gemacht hat, weil ich gestern auf dem Bergle gewesen bin. Sie legte mir die Heirat mit ihr förmlich vor die Füße. Das widert einen ja an! Das ist unweiblich und abstoßend im höchsten Grad! Dabei behauptete sie, daß ich zu gehorchen habe! Das andere, was sie sagte, will ich verschweigen. Aber es war nun meine Pflicht, Ihnen, dem Vater, sofort und deutlich zu sagen, daß Sie sich auf mich als Schwiegersohn keine Rechnung machen dürfen, nicht die mindeste!“
Da schaute der Musterwirt ihn an, lange, lange Zeit, erst mit festen, dann mit immer unbestimmteren Blicken, zuletzt wie ganz abwesend.
„Wissen Sie noch, wie Ihre Tochter von ihrem eigenen Vater geschildert worden ist?“ fuhr der Lehrer fort. „Es war zwar eine andere gemeint, aber es stimmte ganz genau: ‚Nun schaut die mal an, wie sie dahergeht! Wie eine Fürstin tritt sie auf, und nichts ist ihr gut und teuer genug gewesen! Ein solches Gehabe muß den Neuberthof herunterbringen!‘“
Da trat der Wirt zurück und griff sich mit den beiden Händen nach dem Kopf.
„Der Neuberthof, der Neuberthof“, hauchte er. „Der wieder und immer wieder! Die Toten stehen auf und rächen sich, hat der Pastor gesagt! Habe ich denn ein Loch im Kopf, wo alles hinein kann, was Neubert heißt? Gut, daß er tot ist!“
„Aber noch nicht begraben“, bemerkte Bernstein unwillkürlich.
„Wie?“ fragte der Wirt schnell. „Meinen Sie, daß er noch nicht fort ist? Etwa hier, hier, hier? Ich sehe seine Augen! Aber ich gehe morgen mit zu Grabe, da schaue ich zu, bis er hinunter ist und die Erde ganz, ganz darauf!“
Er sah sich in der Stube um, so ängstlich, als ob er sich fürchte. Dann goß er sich aus einer auf dem Tisch stehenden Schnapsflasche ein großes Glas voll und leerte es auf einen Zug. Das schien zu helfen. Sein Auge wurde wieder klar, seine Haltung selbstbewußt. Auch seine Stimme hatte wieder den alten, stolzen Klang, als er nun sprach:
„Sie sind Lehrer, Herr Bernstein. Wie ist es gekommen, daß Sie das werden konnten?“
„Das weiß doch jedermann im Dorf. Mein Vater war ein armer Weber, meine Mutter die älteste Tochter einer armen Witwe, bei welcher die Mutter des Herzle als Ziehkind aufgenommen worden war, wofür sie acht gute Groschen wöchentlich erhielt. Meine Mutter war mit dabei, als der Musteranton seine letzte Dame zog und dabei das Bergle gewann. Ich
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