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73 - Der Dukatenhof

73 - Der Dukatenhof

Titel: 73 - Der Dukatenhof Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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die Stirn, auf welcher der Schweiß in großen Tropfen stand. Es ging ein immerwährendes Rucken und Zucken durch seinen Körper, durch alle seine Glieder. Dabei war es, als ob er auf dem Sprung stehe, der großen, inneren Qual zu entfliehen, die fast stärker war, als er zu tragen vermochte.
    Das Thema der Predigt waren nur die wenigen, von der Seligpreisung abgeschnittenen Bibelworte: „Und ihre Werke folgen ihnen nach!“ Kein Toter läßt zurück, was er hier tat und sprach. Und je näher dem Tod es getan oder gesprochen wurde, um so fester ist und bleibt es mit ihm verbunden. Wehe dem unglücklichen Menschen, von dem ein Sterbender scheidet, indem er ihn verflucht! Und wohl dem Glücklichen, den ein Scheidender segnet; es ist ein Segen wie von Himmelshand!
    Da war es dem Musterwirt nicht möglich, länger stehen zu bleiben. Fort konnte und durfte er nicht, wenn er nicht ungeheures Aufsehen erregen wollte. Er setzte sich also nieder, auf eines der Bretter, mit denen die lockere, um das Grab hoch aufgeschaufelte Erde gestützt worden war. Der Pfarrer mochte Mitleid mit ihm fühlen. Er sprach von jetzt an schneller. Am Schluß der Predigt gab er das Zeichen, daß der Sarg zu schließen sei. Die Tochter legte dem toten Vater die Rosen des Herzle auf die Brust, nahm weinend seine Hand zum letzen Mal in die ihrige, und dann wurde der Deckel aufgelegt. Die Träger zogen zwei Seile unter den Sarg hinweg und hielten sie hüben und drüben fest, um ihn langsam und vorsichtig hinabzulassen, nachdem die Querhölzer entfernt worden waren. Der Totengräber trat hinzu, um dies zu tun. Er begann mit dem, welches unter dem Fußende des Sarges lag. Dabei stemmte er sich mit seinen Füßen gegen die dünne Erdwand, welche er zwischen dem heutigen und dem morgigen Grab gelassen hatte. Sie gab dem zu starken Druck nach und stürzte in die jenseitige Grube. Der aufgeschaufelte Erdwall folgte an dieser Stelle nach, das untere Querholz mit und ebenso der Mann, der hier hüben das Seil zu halten hatte. Er ließ es los und verschwand sofort im Nebengrab.
    Hierdurch hatte der untere Teil des Sargs den letzten Halt verloren; er neigte sich nach unten. So verlor die ganze Last das Gleichgewicht und war nicht mehr zu halten; den schmalen Teil voran, rutschte der Sarg auch von der anderen Stütze ab und schoß mit dumpfklingendem Anschlag in die Tiefe. Unten grad in der Mitte auftreffend, wurde er durch den Stoß auseinander geteilt, die eine Hälfte, in welcher der Tote lag, lehnte sich, aufrecht bleibend, nach der einen schmalen Seite des Grabes hinüber, der leere Deckel kam ebenso aufrecht an die andere zu liegen.
    Ein vielstimmiger Schrei war erschollen. Am lautesten brüllte der Musterwirt. Er wollte aufspringen; aber das Brett, auf dem er saß, hatte nun keinen Stützpunkt mehr und legte sich um. Er verlor mitten im Aufspringen den Boden unter den Füßen, kreischte noch einmal auf und schloß die Augen. Es war ihm, als ob er tiefer, tiefer und immer tiefer sinke, stundenlang, ja wohl tagelang. Dann stand oder lehnte er irgendwo. Er wollte sehen, wo er sich befand; aber es machte ihm Anstrengung, die Augen wieder aufzuschlagen. Endlich gelang ihm dies. Er sah sich im oberen Teile des Sarges schief aufgerichtet lehnen. In dem anderen Teil stand der Neubertbauer, der ihm mit offenen, fürchterlich verglasten Augen grad in das Gesicht starrte. Die Erde schoß in einzelnen, größeren und kleineren Klumpen auf sie beide herab. Das sah genauso aus, als ob der Bauer sich bewege und auf ihn zukomme.
    „Er kommt; er kommt!“ brüllte er in fürchterlichster Angst. „Ich muß ihm nach, ihm nach – ihm nach!“
    Er wollte aus dem Sargdeckel heraus und griff nach den beiden Kanten desselben, um mit einer konvulsivischen Bewegung loszukommen. Dabei stemmte er seine Füße unwillkürlich unten an den Sargteil, in welchem sein entsetzliches Gegenüber stand. Das verursachte einen schiebenden Druck, und die bisher scheinbare Bewegung wurde zur wirklichen. Der Neubertbauer bewegte sich nach vorn. Die gläsernen Augen starr auf ihn gerichtet, neigte er sich zu ihm herüber.
    „Die Toten erwachen – aber ich räche mich – ich, ich, ich!“ zeterte der Musterwirt. „Ich erwürge ihn! Er muß ersticken, ersticken – ersticken!“
    Er schlug die beiden Arme um den Toten und preßte ihn mit der Anstrengung aller seiner Kräfte an sich. Oben über den beiden war alles in Bewegung, die Erde auch. Sie kam herunter und verschüttete das Grab fast

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