73 - Der Dukatenhof
Roggenkleie und eine Prise Feldkümmel dazu, das geht sogar über das, was eine Ziege Freundschaft nennt. Vielleicht bei den Menschen auch! Doch nicht so ohne allen Kampf! Das Karlinchen warf den Kopf nach beiden Seiten. Sie schaute nach dem Dorf und schaute nach dem Brückle, wo jetzt auch noch das Herzle erschien, um ihr zu winken. Wahrscheinlich hätte sie nun die Kartoffel mit Kleie-Richtung eingeschlagen; aber da ließen sich auch vom Dorf her mehrere Gestalten sehen, welche die Absicht zeigten, über die Wiese zu kommen.
„Wer ist das?“ fragte das Herzle erstaunt die Mutter. „Das ist doch gar Herr Frömmelt!“
„Ja, und die Anna! Er führt sie an der Hand!“ antwortete diese, ebenso verwundert.
„Und hinter ihnen die Gasthoftagelöhner. Was haben sie in den Händen? Stangen, sogar ein Netz. Das braucht der Wirt, wenn er im Teich Karpfen und Schleien fängt. Wollen sie etwa hier in unserem Bach fischen?“
„Jedenfalls ist es verwunderlich! Und – schau unser Karlinchen! Sie springt ihnen entgegen. Sie wird von der Anna gestreichelt. Und jetzt vom Musterwirt! Sie duldet das! Wie still sie steht! Jetzt leckt sie ihm gar die Hand! Herzle, so ein Wunder ist noch nicht geschehen! Sie hat ihn noch nie erriechen können, hat für ihn stets nur die Hörner gehabt, und dieses Mal tut sie mit ihm wie grad mit uns! Das ist ja ganz so, als ob er jetzt ein anderer sei als sonst!“
Das Herzle nickte und ging der Freundin über das Brückle entgegen. Diese ließ die Hand des Wirtes los, eilte auf sie zu, begrüßte sie und sagte hierauf eilig und leise:
„Ich konnte seit drei Uhr heute nacht nicht schlafen. Weißt du, die Sehnsucht kam über mich. Sie wurde so groß, daß ich herüber mußte. Es war, als ob er mich erwartet habe. Er empfing mich zum ersten Mal gleich froh, nicht mit dem gewöhnlichen Zorn, der dann vergeht. Er hatte ein ganz anderes Gesicht; das lächelte immerfort. Er rief die Tagelöhner. Sie mußten die Stangen holen und das Netz. Wozu, das weiß ich aber nicht. Er hat es mir verschwiegen.“
Auch die Mutter war ein Stück herbeigekommen. Sie gab der Anna die Hand und wandte sich dann dem Musterwirt zu. Was hatte der heute für Augen! Grad so lieb und so warm hatte ihr verstorbener Mann sie angeschaut, wenn er von der Arbeit gekommen und hier am Brückle von ihr empfangen worden war. Sie konnte gar nicht anders, sie mußte ihm die Hand entgegenreichen. Er nahm sie, hielt sie fest und sagte:
„Marie, fürchte dich nicht vor mir! Es schickt mich einer zu dir her, dem ich jetzt zu gehorchen habe, obgleich er einst in meinen Diensten stand. Der Anton läßt dich grüßen!“
Hierauf wandte er sich an das Herzle:
„Und zu dir schickt mich ein anderer! Ich war dabei und habe gehört, was du mit dem Musterwirt gesprochen hast, als er den Taler deines Vaters an sich raffte. Du hast dich auf den Herrgott berufen. Du meintest, daß er dir sagen werde, was es mit dem Herd und den Flaschen für eine Bewandtnis habe. Du riefst dem Musterwirt zu: ‚Behalte den Taler, denn wo dieser ist, da ist mein toter Vater. Der hält ihn fest. Der hebt ihn auf für den Staatsanwalt!‘ So sagtest du. Jetzt wird es in Erfüllung gehen. Der Staatsanwalt ist da. Der bin nämlich ich, ich, ich, der tote Neubertbauer, der aber nicht gestorben ist! Ich habe mich zum Staatsanwalt gemacht, kurz ehe ich aus meinem Körper ging. Und was ein Scheidender verspricht, das muß er halten. Dies habt ihr aus dem Mund des Pfarrers gehört, als er meiner Leiche die Abschiedsrede hielt. Darum komme ich heute so früh zu euch. Der Weg ist frei, und dein Vater ist da. Man hat ihm die gestohlenen Taler bringen müssen – ganz, ganz genau dorthin, wo er damals von dem Dieb und Mörder hingebracht worden ist. Das muß so sein. Die Gerechtigkeit hat es verlangt, und ich, der Staatsanwalt, habe darüber gewacht, daß es geschah!“
Indem er dies sagt, strich er der Ziege, welche ganz nahe bei ihm stand, mit der Hand liebkosend über das Haar.
„Jawohl, Karlinchen“, lächelte er dabei; „wir beide wissen mehr als andere; aber wir verraten es nicht. Man würde uns für wahnsinnig halten – mich einfach für verrückt, dich aber für besessen!“
Sie fuhr nach seiner Hand, um ihren Kopf an ihr zu reiben. Vielleicht war sie in diesem Augenblick die einzige, welche nicht an der Klarheit seines Verstandes zweifelte, denn in den Blicken der anderen konnte man deutlich sehen, daß sie das, was er gesagt hatte, für irre Reden
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