73 - Der Dukatenhof
höchst mitleidiges Gesicht.
„Der sind ja Sie selbst!“ sagte er. „Und wozu die Bemerkung über das Gewissen, welche vor den Irrenarzt gehört?“
„Da haben Sie recht. Vor den Irrenarzt! Der werde aber ich sein. Und Sie sind der Patient! Wollen Sie sich von mir unterrichten lassen? Soll ich Ihnen beweisen, daß von uns beiden nicht ich der Wahnsinnige bin, sondern Sie?“
Da sah Bernstein ihm offen und ehrlich in die Augen und antwortete:
„Man soll auf die Ideen Geisteskranker eingehen. Sie sind geisteskrank. Also gehe ich auf Ihren Gedanken ein! Es ist im allerhöchsten Grad interessant. Er wird meine Psychologie bereichern. Ich bitte Sie also, mir Ihren Beweis zu liefern!“
„Wohlan, es soll geschehen. Doch fordere ich zweierlei. Nämlich erstens haben Sie und die Frauen alles zu tun, was ich von ihnen verlange. Es wird zwar verrückt klingen, ist aber nichts Verbotenes. Und zweitens haben Sie gegen jedermann zu schweigen, bis ich ausdrücklich sage, daß Sie sprechen dürfen. Wer einverstanden ist, der gebe mir die Hand darauf!“
Der Lehrer gab sie ihm sofort und nickte den Frauen zu, seinem Beispiel zu folgen. Als es geschehen war, fuhr der Musterwirt fort:
„Hören Sie, Herr Lehrer, was ich sage. Ich werde es so kurz wie möglich machen! Außer uns hier wissen nur die Taglöhner, was unten am Bach geschehen ist. Ich habe ihnen den Befehl gegeben, die Leiche nach Hause zu tragen und in meine Stube zu schaffen, um sie in mein Bett zu legen. Sehen Sie, dort schaffen sie sie schon über die Wiese! Es wird eine ungeheure Aufregung geben, aber wenn sie oben liegt, darf niemand mehr hinauf. Sie gehen von hier nach dem Gasthof und sorgen dafür, daß der Weg für Sie frei wird. Dann begeben Sie sich zur Leiche, doch darf das kein Mensch sehen. Sie schieben ihr hier diese Quittung in die Hände und verstecken sich dann in die Nebenkammer, wo die heimlichen Geschäftsbücher liegen. Sie sind ja oben gewesen und wissen also, daß eine Glastür hinausführt, an welcher draußen ein Vorhang ist. Hier ist der Schlüssel dazu. Sie schließen sich ein und ziehen ihn sofort wieder ab.
Dann beobachten Sie, was sich bei der Leiche ereignen wird. Verhalten Sie sich still und merken Sie sich jedes Wort, welches der Musterwirt zu seiner Tochter spricht!“
„Der Musterwirt? Also Sie!“
„Nein! Das ist ja eben das Rätsel! Das ist die Wahrheit, welche Sie für Wahnsinn halten! Ich bin der Neubertbauer. Und ich will den Musterwirt durch diese Quittung zwingen, die Beichte abzulegen, in der er alles gesteht, was er verbrochen hat. Haben Sie Zeit, zu tun, was ich Ihnen sagte?“
„Zeit? Jawohl! Ich habe der Ausstellung wegen frei bekommen. Ein Vikar erteilt für mich den Schulunterricht. In Beziehung auf die Zeit steht also nichts im Wege. Aber den heimlichen Lauscher zu machen, das geht mir gegen den Strich!“
„Wirklich? Da fangen sie ja schon an, klein beizugeben!“
„Wieso?“
„Sie erklären mich für verrückt, weil ich behaupte, der Neubertbauer zu sein. Ich bin in Ihren Augen ja unbedingt der Musterwirt! Nun, dieser Musterwirt fordert Sie auf, ihn zu belauschen. Er hat Ihnen sogar den Schlüssel dazu anvertraut. Wenn Ihnen das gegen den Strich geht, so geben Sie damit zu, daß ich nicht diejenige Person bin, welche das Recht besitzt, Sie in die Nebenkammer einzulassen. Merken Sie, daß meine Beweise schon beginnen? Sie reden ja jetzt schon irr!“
Der Lehrer schaute vor sich nieder. Er fühlte, daß dieser Vorhalt logisch war.
„Nun wohl, ich werde es tun“, sagte er. „Sie behaupten, der Neubertbauer zu sein, aber Sie sprechen nicht wie ein Bauer. Sie sprechen sogar noch höher als der Musterwirt. Das ist es, was mich irr macht.“
„Weil Sie nicht wissen, was Geist ist. Ich bin nicht der Neubertbauer abzüglich seines begrabenen Körpers. Ich bin viel mehr, viel mehr. Sie werden das bald erfahren, wenn Sie gehorchen. Ich rechne mit Dingen, von denen Sie keine Ahnung haben, und ich weiß, daß diese meine Rechnung stimmen wird. Ich bin jetzt nicht mehr Körper, sondern nur noch Gesetz und Kraft. Was ich war, das hat sich aufgelöst und ist mit anderem ein vollständig Neues geworden. Das Neue besitzt eine Macht, von der Sie keine Ahnung haben. Was Ihrer Polizei und aller Ihrer Anstrengung wohl kaum jemals gelänge, das werde ich im Handumdrehen zum guten Ende führen! Gehen Sie! Tun Sie, was ich sagte! Ich habe nichts hinzuzufügen.“
Er stand hoch aufgerichtet. Seine Augen blitzten.
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