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74 - Mein Leben und Streben

74 - Mein Leben und Streben

Titel: 74 - Mein Leben und Streben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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innerlich so schwer Angefochtenen im höchsten Grad gefährlich. Nichts war mir nötiger als verständnisvolle Geselligkeit. Aber ich stand, wenn auch nicht äußerlich, so doch innerlich stets allein und war also den Gestalten, die mich bezwingen wollten, fast unausgesetzt und schutzlos preisgegeben. Und mitten in dieser Schutzlosigkeit wurde ich nun auch von andern Feinden gepackt, die, obgleich sie keine inneren, sondern äußerliche waren, doch ebensowenig mit den Händen gefaßt werden konnten.
    Meine Mutter hatte infolge ihres Berufs unausgesetzt in andern Familien zu verkehren. Sie war Vertrauensperson. Man hatte sie gern. Man teilte ihr alles mit, ohne daß man sie um Verschwiegenheit zu bitten brauchte. Sie erfuhr alles, was im Städtchen und in der Umgegend geschah. Es hatte irgendwo einen Einbruch gegeben. Jedermann sprach von ihm. Der Täter war entkommen. Bald gab es wieder einen, in derselben Weise ausgeführt. Dazu kamen einige Schwindeleien, wahrscheinlich von herabgekommenen Handwerksburschen in Szene gesetzt. Ich hörte gar nicht hin, als man es erzählte, bemerkte aber nach einiger Zeit, daß Mutter noch ernster als gewöhnlich war und mich, wenn sie glaubte, unbeobachtet zu sein, so eigentümlich mitleidig betrachtete. Ich blieb anfänglich still, glaubte aber sehr bald, sie nach dem Grund fragen zu müssen. Sie wollte nicht antworten; ich bat aber so lange, bis sie es tat. Es zirkulierte ein Gerücht, ein unfaßbares Gerücht, daß ich jener Einbrecher sei. Wem sollte man es zutrauen, als mir, dem entlassenen Gefangenen? Ich lachte äußerlich dazu, innerlich aber war ich empört, und es gab einige schwere Nächte. Es brüllte vom Abend bis zum Morgen in meinem Innern. Die Stimmen schrien mir zu: „Wehre dich, wie du willst, wir geben dich nicht los! Du gehörst zu uns! Wir zwingen dich, dich zu rächen! Du bist vor der Welt ein Schurke und mußt ein Schurke bleiben, wenn du Ruhe haben willst!“ So klang es bei Nacht. Wenn ich am Tage arbeiten wollte, brachte ich nichts fertig. Ich konnte nicht essen. Mutter hatte es auch dem Vater gesagt. Beide baten mich, mir die Sache nicht zu Herzen zu nehmen. Sie konnten für mich eintreten. Sie wußten ja genau, daß ich in den betreffenden Zeiten nicht aus dem Haus gekommen war. Was wir erfuhren, war alles im Vertrauen gesagt. Kein Name wurde genannt. Darum gab es keinen Punkt, an dem ich zugreifen konnte, mich zu wehren. Aber es kam schlimmer. Die heimatliche Polizei wollte mir nicht wohl. Ich war mit Vertrauenszeugnis entlassen worden und darum ihrer Aufsicht entgangen. Jetzt glaubte sie, Veranlassung zu haben, sich mit mir zu beschäftigen. Es kamen einige neue Schelmenstreiche vor, deren Täter ganz unbedingt mit einer gewissen Intelligenz behaftet waren. Man glaubte, dies auf mich deuten zu müssen. Das war zu derselben Zeit, in der sich die schon erwähnte ‚Lügenschmiede‘ zu bilden begann. Neue Gerüchte kursierten, romantisch ausgeschmückt. Der Herr Wachtmeister erkundigte sich unter der Hand, wo ich an dem und dem Tag, zu der und der Zeit gewesen sei. Die Augen hingen an mir, wo ich mich sehen ließ; aber sobald ich diese Blicke wiedergab, schaute man schnell hinweg. Da kam ein armer Wurm, aber ein guter Kerl, ein Schulkamerad, der mich immer liebgehabt hatte und auch jetzt noch an mir hing. Der war sprichwörtlich unbeholfen und unverzeihlich aufrichtig. Er hielt grob sein für Menschenpflicht. Der konnte es nicht länger aushalten. Er kam zu mir und erzählte mir auf Handschlag und Schweigepflicht alles, was gegen mich im Schwange ging. Das war so dumm und doch so empörend, so leichtsinnig und gewissenlos, so – so – so – so – ich fand keine Worte, dem armen, wohlmeinenden Menschen für seine schmerzhafte Aufrichtigkeit zu danken. Aber als er mein Gesicht sah, machte er sich so schnell wie möglich von dannen.
    Das war ein schwerer, ein unglückseliger Tag. Es trieb mich fort, hinaus. Ich lief im Wald herum und kam spät abends todmüde heim und legte mich nieder, ohne gegessen zu haben. Trotz der Müdigkeit fand ich keinen Schlaf. Zehn, fünfzig, ja hundert Stimmen verhöhnten mich in meinem Innern mit unaufhörlichem Gelächter. Ich sprang vom Lager auf und rannte wieder fort, in die Nacht hinein; wohin, wohin, das beachtete ich gar nicht. Es kam mir vor, als ob die inneren Gestalten aus mir herausgetreten seien und neben mir herliefen. Voran der fromme Seminardirektor, dann der Buchhalter, der mir seine Uhr nicht geborgt

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