900 Großmütter Band 1
aber in Tonhöhe und Klangfarbe stark variierten. Billy Cross verstand ihn vielleicht am besten, aber ein bißchen verstanden sie ihn alle.
Nur in einer Sache erwies sich Schnoffel als eigensinnig. Er markierte ein Areal, ein wildes, felsiges Stück Boden, und verbot ihnen, dieses zu betreten. Er hatte rundherum einen Graben gekratzt, und wenn jemand Miene machte, diesen zu überschreiten, dann brüllte er und entblößte fußlange Fangzähne. Billy Cross meine, Schnoffel tue das nur, um sein Gesicht zu wahren; denn vorher hatte Hardy ihm ein bestimmtes Gebiet verboten, nämlich Vorratslager und Waffenzentrum. Hardy hatte mit der Hacke eine Linie herumgezogen und ihm klargemacht, daß er diese niemals überschreiten dürfe. Die merkwürdige Kreatur hatte das sofort verstanden und tat nun ihrerseits dasselbe.
Das Expeditions-Team hatte sich an dieser Stelle für zwei Erd-Wochen (zwölf Bellota-Wochen) eingerichtet, um das Leben auf dem Planetoiden zu studieren, zu klassifizieren, Proben zu entnehmen, Tests anzustellen, Bilder und Aufzeichnungen zu machen, Hypothesen aufzustellen und so die Basis für eine Theorie zu schaffen; aber sie bewegten sich von ihrem eigentlichen Lagerplatz kaum weg. Es gab eine so verwirrende Fülle der verschiedensten Details dicht bei der Hand, daß schon eine erste grobe Klassifizierung viele Wochen in Anspruch nehmen würde.
Ein besonderer Zug auf dem Planetoiden war die Geschwindigkeit der enzymatischen und bakteriellen Reaktionen: ein guter Wein konnte in vier Stunden hergestellt werden, und ein Pilzkäse aus den Ausschwitzungen von Maden sogar in noch kürzerer Zeit. Und in der neuen Atmosphäre schienen die Gedanken ebenfalls schneller zu fermentieren.
»Jeder Mensch macht einmal in seinem Leben einen wesentlichen Fehler«, sagte John Hardy gelegentlich. »Wäre das nicht der Fall, so brauchte er nicht zu sterben.«
»Was?« fragte Phelan spöttisch. Diese Behauptung erschien ihm rätselhaft. »Gewaltsamer Tod ist doch heutzutage selten. Alle die anderen können doch nicht bloß deshalb sterben, weil sie einen Fehler gemacht haben!«
»Und doch ist das eine Tatsache. Der Tod ist im Grunde noch nicht erklärt, trotz aller Erklärungen der Mediziner. Ein Tod ist immer die Folge einer einzigen, weit zurückliegenden Unbedachtsamkeit, einer Schwächung des Geistes oder Körpers, oder einer Verkrüppelung der Regenerationskraft. Ein Mensch ist lebendig und vital. Und eines Tages macht er einen Fehler. In diesem Augenblick beginnt der Mensch zu sterben. Aber hätte dieser Mensch diesen Fehler nicht begangen, so brauchte er nicht zu sterben.«
»Poppycock«, sagte Phelan – das ist ein anglo-amerikanischer Ausdruck und bedeutet ›Quatsch‹, ›Unsinn‹.
»Ich wüßte gern, ob Sie die eigentliche Bedeutung des Wortes Poppycock kennen?« fragte Billy Cross. »Es kommt von ›poppy‹, also Mohn – daher eigentlich: Opium-Gerede, das Gerede eines unter Drogeneinfluß Stehenden. Und das Element ›cock‹ in diesem Worte kommt nicht, wie Sie denken mögen, vom norwegischen kok, Misthaufen; auch nicht vom französischen ›coquard‹ in dem Sinne, wie Rabelais das Wort gebrauchte, sondern eher von …«
»Poppycock«, wiederholte Phelan. Er konnte Billys Praktik, alle Wörter zu analysieren, nicht ausstehen und leugnete dessen These, daß ein Mensch, der ein Wort ohne das volle Gefühl für dessen Wert gebraucht, wie jemand ist, der mit falschen Münzen zahlt, also gewissermaßen ein Lügner.
»Wenn ein Mensch nur durch einen Fehler stirbt – wie stirbt dann ein Tier?« fragte Margie Cot.
»Es macht den Fehler, ein Tier zu sein und kein Mensch«, sagte Daniel Phelan.
»Vielleicht gibt es gar keine klare Grenze zwischen Tier und Mensch«, wandte Margie ein.
»Doch«, sagte Phelan, und drei stimmten zu.
»Es gibt keine«, sagte Billy Cross.
»Ein Tier, also ein animalisches Geschöpf, ist paradoxerweise ein Geschöpf ohne anima, also ohne Seele«, sagte Phelan. »Das hört sich grade aus meinem Munde seltsam an, da ich auch dem Menschen eine Seele in der gebräuchlichen Bedeutung dieses Begriffes abspreche. Aber es ist ein fundamentaler Unterschied vorhanden, eine Linie, die das Tier nicht überschreiten kann und auch nie überschritten hat: wenn wir dort angekommen sind, wohin immer wir gehen, dann wird das Tier immer noch in seiner Höhle stecken.«
»Hier jedenfalls ist es umgekehrt«, sagte Brian Carroll. »Schnoffel schläft im Freien, und wir kriechen in die
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