~900 Meine Reise auf dem spanischen Jakobsweg. (German Edition)
weinen, heute hat er mich. Zum letzten Mal stehe ich als Pilger auf dem Platz, gehe in Richtung des Nullsteins, auf dem zwei Touristen stehen und Fotos machen. Sie gehen schnell beiseite als sie mich sehen, ich kann ihnen nicht einmal richtig danken. Aufbruch heißt es wenn ich mit dem Pilgerstab zwei Mal auf den Boden schlage. Ein Schlag PONK. Sie sollen mich motivieren, sollen mich antreiben, sollen mir sagen ‚jetzt gehst du weiter’. PONK. Aufbruch … Aufbruch.
So schwer wie dieses Mal sind meine Beine noch nie gewesen, der Stab wiegt Tonnen. Die grüßenden Spanier nehme ich kaum wahr, eine wegweisende Frau verschwimmt vor meinen Augen. Jetzt wird mir die Schönheit Santiagos bewusst, die ich noch bei meiner Ankunft nicht sehen konnte. Santiago ist jetzt vertraut. Kein anderer Ort auf dem Weg konnte so vertraut werden.
Weiter geht es, immer weiter. Santiago war nicht 0, Santiago war ein neuer Anfang. Weiter, weiter, weiter, das Meer ruft.
Es geht durch viel zu schöne Wälder. Vögel, ein Hund, das Geräusch des Wanderstabes und meine Gedanken. Waldesstille nenne ich es. Wieder denke ich daran, was ich jetzt zuhause tun würde, nach diesem Abschied. Den Tag würde ich in Wein ertränken und auf die Nacht warten, bei halb geschlossenen Vorhängen, Spielen und Filmen, vielleicht würde ich etwas schreiben, vielleicht ein trauriges Gedicht. Der Weg erlaubt diese Routine nicht und bringt mich Schritt um Schritt fort von Santiago und fort von den traurigen Gedanken, die zwar jede Sekunde in meinem Kopf nachhallen, deren Gewicht aber Schritt um Schritt, ein wenig nur aber immerhin, leichter werden. Es geht einfach weiter und was noch kommt ist ungewiss.
Die Ausschilderung ist zwar nun sehr präzise, bis auf den Meter genau sagen die Steine nun an wie weit es zum Kap ist, doch ist sie auch sehr spärlich. Nicht immer finde ich an einer Abzweigung sofort einen Pfeil, wenn überhaupt. Manche sind sehr alt und verblasst, andere sind zugebaut oder zugewachsen. Zwei Mal gehe ich kurz in die falsche Richtung, merke es aber immer schnell, dass es keine weiteren Markierungen gibt, kehre um. Manche gelben Zeichen scheinen auch nicht den Camino anzuzeigen oder sie zeigen den Weg zurück nach Santiago. Sicher bin ich mir nicht dabei, in meinem kleinen roten Helfer sind diese Markierungen nicht erwähnt. Doch nach 37 Tagen auf dem Weg habe ich mir wohl eine gewisse Intuition erlaufen. Ich scheine oft zu spüren wohin der Weg als nächstes gehen müsste, so dass ich nie ernsthaft auf falsche Pfade gerate.
Ein kleiner Supermarkt am Weg hilft meine leeren Rationen aufzufüllen.
Obwohl die Strecke rauf und runter geht ist sie nicht sonderlich schwer. Nur wenige Pilger sind unterwegs, insgesamt sehe ich vielleicht höchstens 30 und die meisten davon erst abends. Nach Santiago kommt die Einsamkeit wieder. Viele in der Herberge scheinen aus Kanada zu kommen, ich verstehe kein Wort. Zum Glück sind auch Manuela und zudem meine Lieblingspolinnen dort. Allerdings sind alle Betten belegt, weil ich erst spät losgelaufen bin, so dass ich Platz in einem Zelt finde. Zuerst freue ich mich Platz an der frischen Luft zu haben, das tut mir gut und als ich erfahre, dass noch vier schöne Frauen in dem kleinen Zelt schlafen werden bin ich noch erfreuter.
Den Abend verbringe ich mit reden, essen und natürlich schreiben. Mein kleines schwarzes Buch ist praktisch schon eine kleine Berühmtheit, jeden Nachmittag oder Abend sieht man mich darin schreiben. Ich werde häufig darauf angesprochen.
Heute geht es früh ins Bett. Das Zelt ist schräg, oder besser der Boden auf dem es steht, aber ich habe Glück. Ich liege an der tiefsten Stelle direkt an der Zeltwand, so dass ich nicht weiter davon rollen kann. So schlafe ich gut, jedenfalls so gut wie es sich eben in einem abschüssigen Zelt schläft. Mein warmer Schlafsack macht alles natürlich noch einmal deutlich bequemer und nicht zum ersten Mal bin ich glücklich das zusätzliche Gewicht die ganze Zeit mit mir herumgetragen zu haben.
29.09.08 32km nach Olveiroa – Zerfaserte Momente
Kurz vor sieben wühle ich mich aus dem Zelt. Gar nicht so einfach, wenn man sich in seinem Schlafsack verheddert hat. Auch viele andere sind schon wach, manche brechen sogar schon auf. Ein Zelt ist schon ganz leer. Die Kälte hat viele schlecht schlafen lassen und hinzu kommt wohl die Angst in der nächsten Nacht kein Bett zu bekommen. 32km sind viel und später am Tag wird es wohl auch
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