Aasgeier
es eigentlich nicht so recht fassen kann. Aber seine Begründung leuchtet ein. Ich musste einsehen, dass es für ihn die einzige Möglichkeit ist, am Petrus vorbei durchs Tor zu schreiten.
Die Sorgen mache ich mir nicht.
Ich war schon an der ersten Tasse Kaffee, als er aus der Sakristei kam.
„Wie war´s?“
Er murmelte etwas von alten Weibern und setzte sich.
„Fährst du heute ins Delta?“
„Habe ich vor. Erst in San Francisco anlegen und einiges kaufen, dann weiter über die Bucht und den Sacramento-River hoch bis Locke. Ich nehme an, dass ich dort irgendwo anlegen kann.“
„Denke ich auch. Wie lange wirst du unterwegs sein?“
Darüber hatte ich mir auch schon Gedanken gemacht. „Drei, vier Tage, schätze ich. Vielleicht mache ich noch irgendwo Halt, in Santa Cruz oder schon am Big Sur. Mal sehen.“
Er meinte, das höre sich gut an. Und ich soll das Telefon eingeschaltet lassen. „Wenn was ist, möchte ich dich gleich sprechen können.“
„Geht klar. Und ich rufe an, wenn ich was habe.“
Nach dem Frühstück und einem flotten gemeinsamen Spaziergang durchs Dorf verabschiedeten wir uns. Von meinem geplanten Abstecher ins Carrizo Plain wollte ich nichts sagen. Dann hätte ich sagen müssen, warum ich dorthin wollte, und je weniger Leute vom verbuddelten Geld wissen, umso besser schlafe ich. Also bog ich bei Santa Margarita vom Freeway ab und fuhr ein Stündchen den Pozo Highway nach Osten. Zu Beginn des Wüstentales California Valley rechts ab, ein paar Meilen über die Staubstraße am knochenweißen und knochentrockenen Soda Lake entlang, bis ich zum kaum erkennbaren Pfad kam, der zu den Hügeln im Westen führte. Die verkrüppelte Goldeiche am Hang erkannte ich sofort wieder, hielt unter ihrer ausladenden Krone und setzte mich mit dem Rücken zur Hügelkette an ihren Stamm. Ich wusste haargenau, wo ich nachschauen musste. Sowas vergisst man nicht, soviel Geld, das hier hoffentlich noch immer ruhte.
Natürlich wusste Rick von den beiden Truhen, die ich dem Moreno abgenommen und im Carrizo Plain verbuddelt hatte, wusste von der Dreiviertelmillion, die hier auf uns wartete, aber ich hatte ihm nie den genauen Ort verraten.
Die Ruhestätte der Truhen war unberührt. Struppiges gelbes, ausgedörrtes Gras bedeckte sie, so wie es sämtliche Hänge dieser Wüstenhügelkette bedeckte, und wäre mir die Stelle nicht unvergessen geblieben, wüsste kein Mensch, dass hier etwas lag. Ich hatte die Wagenheberstange aus dem Kofferraum des Dodge genommen und bohrte nun im harten Boden herum. Sofort traf sie auf etwas Hartes, nach wenigen Versuchen noch mal. Na, also. Ich packte sorgfältig die kleinen Sondierungslöcher wieder zu, pustete die Dreckoberfläche unnötigerweise flach, kämmte mit den Fingern das trockene Gras wieder glatt, schaute, dass alle Spuren verwischt waren, und wünschte meinem Geld weiterhin ungestörte Ruhe. Dann fuhr ich zurück zur Küste.
Meinen Leihwagen gab ich in San Luis ab und war eine Stunde später an Bord. Gegen Mitternacht lief ich an Big Sur vorbei, sah gegen halb vier die Lichter von Santa Cruz und fuhr weiter, weil ich hellwach war. Um die Mittagszeit legte ich in Richmond an. Keine Lust gehabt, das Gewusel San Franciscos auf mich zu nehmen, keine Lust auf das Schicki-Berkeley, und um die kalifornische Mordhauptstadt Oakland machte ich schon seit Jahrzehnten einen großen Bogen.
In Richmond tankte ich erst mal voll, kaufte Proviant, ein paar warme Sachen, neue Turnschuhe und eine kitschige goldbetresste Kapitänsmütze, und war am Spätnachmittag auf dem Sacramento River. Ich tummelte mich zwischen Hochseefrachtern, die auf dem Fluss zwischen breiten Feldern seltsam fehl am Platz wirkten, legte irgendwo zum Abendessen an und lief gegen halb zwölf in Locke ein.
Wer zum ersten Mal nach Locke kommt, der geht sofort in die Knie. Wie jeder kalifornische Schüler habe ich irgendwann mal gelernt, dass Locke die erste und größte chinesische Gemeinde im Goldenen Staat war. Dass den Chinesen verboten war, Land zu kaufen, und dass sie deshalb begeistert zugriffen, als ein Rancher namens Locke einer chinesischen Abordnung eine langjährige Pacht anbot, Land, auf dem sie eine Siedlung bauen konnten. Was ja sehr hübsch als Menschenfreundlichkeit des Ranchers dargestellt wurde und wir Schüler mal wieder lernten, dass es nichts demokratischeres gibt als einen Ami. Dass die miese Scholle wegen steter Überflutung nur zum Reisanbau taugte und der selbstlose Landbesitzer
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