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Aasgeier

Aasgeier

Titel: Aasgeier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter J. Kraus
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Jon. „Wo arbeiten Sie denn?“
    „Ich bin Bibliothekarin. Hauptbibliothek in der Innenstadt.“
    Aha. Eine Gebildete. Und verdammt hübsch. Aber das erwähnte ich ja schon.
    Ich streckte ihr meine Hand hin und sagte höflich meinen Namen auf. Sie nahm sie - ich liebe Frauen mit trockenen Händen! -, schüttelte kräftig und ließ mich wissen, dass sie Marisol hieß. Marisol Omelli Zamora. Angenehm.
    Als sie ging, schaute ich gebannt auf ein paar endlose, perfekte Beine. Absolut kein Sitzriese. Ich würde mir hochhackige Cowboystiefel zulegen müssen, wenn ich dagegen nicht abschiffen wollte.
     
    Um halb neun spazierte ich zum winzigen Hafen, wo mein Trawler alles andere überschattete. Ich ging an Bord, machte erst mal sauber, was nach der langen Fahrt unbedingt nötig war, und tuckerte gemächlich die drei oder vier Meilen bis zur nächsten Dieselsäule. Ich wollte den Tank immer möglichst voll haben. Weiß der Geier, wann ich´s brauchen würde.
     
    Das Sacramento Delta ist ein Riesengebiet, ein Wahnsinnswasserweg, der angeblich über tausend Meilen lang ist. Kreuz und quer verläuft er durchs Dreieck zwischen dem östlichen Ende der San Francisco-Bucht, der kalifornischen Hauptstadt Sacramento in der Vorgebirgsebene und dem Agrargebiet unterhalb Stocktons. Sieht auf der Karte ein bisschen dürftig aus, aber wenn man mal mittendrin steckt, merkt man, wie viele Arme und Kanäle die verschiedenen Flüsse verbinden, wie viele Inseln durch das Zusammenwirken von Gezeiten und Süßwasserflüssen gebildet wurden und wie viel Reis hier einst angebaut wurde. Trotz der Sierra Nevada, die im Osten zum Greifen nah steht, ist das Delta topfeben. Kaum eine Erhebung, die sich mehr als zwanzig Meter aufreckt, kaum eine Steigung auf den wenigen Straßen, und die aufgehende Sonne wirft lange nur Schatten, bis sie über die Dreitausender der Sierra schaut.
     
    Ich fuhr zwei Stunden südlich, bog nach Osten ab und tuckerte den Mokelumne River wieder hoch in Richtung Locke. Selten habe ich mich so einsam und so wohl gefühlt wie an dem Tag. Vom Radhaus konnte ich die Frachter sehen, die in der Ferne nach Sacramento und Stockton unterwegs waren. Sah aus, als fuhren sie auf den Feldern, seltsam rostige Dinosaurier, die ihre asiatische Fracht in San Francisco gelöscht hatten. Nun waren sie zu den beiden Landwirtschaftszentren unterwegs, wo sie die kalifornische Ernte laden und über den Pazifik tragen würden. Die Sonne strahlte aufs Land hinunter, die vielen Verwandten der nächtlichen Mückenplage hatten sich verzogen und nur selten knatterte ein Sportboot durch die Ruhe.
    Ich hatte in Richmond den Kühlschrankinhalt aufgestockt, und über den machte ich mich in der Nachmittagshitze des Deltas her. Das Bier schmeckte ausgezeichnet, die Erdnüsse, die ich dazu mit vollen Händen in den Rachen warf, waren genau das Richtige, und ein ganzes Stückchen vor Locke merkte ich, wie ich leichtsinnig wurde. Halb sieben war es, eine halbe Stunde vorm Abendessen, als ich mir eingestehen musste, dass ich zu besoffen war, die junge Hübsche zum Dinner zu treffen. Also warf ich den Kahn herum und dampfte zurück zum Verbindungskanal. Den fuhr ich hoch bis zur nächsten Ausweichbucht. Dort ankerte ich und schlief unwillig, aber prompt ein. Bis mich sehr viel später die bekannten Mücken weckten. Ich hüpfte kurz ins Wasser, war im Nu mückenfrei und hellwach und fuhr nach Locke zurück, splitternackt und voller Unternehmungslust.
     
    Das Dorf schlief tief und fest, bis auf Manager Joe und zwei müde aussehende Unrasierte auf kippeligen Hockern. Joe saß Heftchen lesend hinter seinem Empfangstresen, der abends als Bartheke Dienst tat, schaute auf, als ich zur Eingangstür hereinkam – Jeans und Hemd, keine Socken, keine Schuhe – und gab mir einen Umschlag. Marisol schrieb, dass sie auf mich gewartet habe, aber nun heimmüsse. Vielleicht ein anderes Mal? Ihre Telefonnummer hatte sie in die untere rechte Zettelecke geklemmt. Unter ihre Unterschrift. Ich ging hoch ins Zimmer und rief an.
    „Nein, nein, es ist nicht zu spät. Ich habe gehofft, dass Sie noch anrufen würden.“
    „Tut mir leid, aber ich musste Proviant und Sprit an Bord nehmen, und ich habe mich prompt auf dem Heimweg verfahren.“ The check is in the mail, der Hund hat meine Hausaufgaben gefressen. Sie glaubte es.
    „Sollen wir dann einfach morgen - oder heute, wenn man's genau nimmt - unser Abendessen nachholen? Vielleicht bei mir zu Hause? Mögen Sie mexikanisch?"
    Mag

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