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Aasgeier

Aasgeier

Titel: Aasgeier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter J. Kraus
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hauten rein. Sie bot an, auch den Pinsel zu schwingen. Würde die Arbeit schneller von der Hand gehen.
    "Pinsel? Hand?" wollte ich grinsend wissen. Sie errötete, eine Kunst, die mein Herz schon immer erfreute. Eins führte zum anderen, aus Scherz wurde Ernst, und ehe wir´s uns versahen lagen wir schon wieder im Bett.
    Man soll ja Arbeit nicht übertreiben. Vor allem am Wochenende.
     
    Als wir endlich aufstanden, war das letzte Tageslicht längst einer recht hellen Nacht gewichen. Wir zogen uns an und gingen Hand in Hand den halben Kilometer zum Fluss hinunter.
    "Ich wurde hier geboren", erzählte sie auf meine Frage. "Recht ungewöhnlich, damals, weil nur wenige Latinos auf dieser Flussseite lebten. Wohnten ja überwiegend Chinesen hier, und viele waren schon ziemlich betagt. Junge Familien waren in der Minderheit, aber die meisten jüngeren Ehepaare hatten drei oder vier Kinder. Wir paar Latinas waren ausgesprochene Fremdkörper in unserer winzigen Dorfschule."
    Konnte ich mir denken.
    "Wo ich aufwuchs, waren die Rassen auch säuberlich getrennt“, gab ich meinen Senf dazu. „In Pismo lebten fast nur Weiße, in Striker Beach überwiegend Mexikaner. Was zu viel Ärger führte, wenn man mal die Grenzen überschritt." Ich erinnerte mich an ein Mädchen, in das ich unsterblich verliebt war. Rosario Diaz. "Ich war vierzehn, sie wurde gerade fünfzehn - eine Quinceañera. Als ich sie mal sehen wollte, im Gebüsch gegenüber ihres Elternhauses lauerte, habe ich derart die Hucke vollgekriegt, dass mir der ganze Appetit verging. Dabei waren die Typen nicht mal ihre Brüder oder Cousins, sondern einfach Knaben aus Striker. Haben gesagt, sie treten ihre Hühner selber, was ich lange nicht verstand, aber nie vergaß. Rassismus stirbt nicht aus."
    Sie nickte. So, wie ich in Baja oft als Außenseiter behandelt wurde, so schien es ihr in ihrem Geburtsort gegangen zu sein. Die Menschheit ist dämlich.
    „Und dein Familienname? Omelli hört sich nicht mexikanisch an.“
    „Irisch. Meine Urgroßeltern mütterlicherseits waren Iren. O´Malley, natürlich. Meine Augenfarbe verrät noch die Herkunft.“
    „Gringa, was?“ Sie lachte. Mexikaner nennen Weiße Gringos, weil die vielen Iren, die im neunzehnten Jahrhundert über Tampico einwanderten, ein Volkslied mitbrachten, dessen Text teilweise „green grows the valley oh“ lautete. Stark verkürzt von spanischsprechenden Indios also Gringo.
    „Gringa, ja. Mein Vater erzählte die Geschichte gern. Wenn die Chinesen von Kalifornien als Gold Mountain sprachen, dann brachte er die Gringostory. Bis sie keiner mehr hören konnte.“
    "Wo sind denn die Chinesen alle hin?" Hatte mich schon ein paarmal gewundert. Man sah zwar noch welche, aber ausnahmslos Uralte. Kein einziger junger Chinese ließ sich noch in Locke blicken.
    "Nach Sacramento gezogen, nach San Francisco, ins Silicon Valley oder nach Stockton. Locke war ja mal die größte amerikanische Chinesensiedlung, so in den Zwanzigern, aber seit Amerikaner chinesischer Herkunft Grundbesitz haben dürfen, seit ungefähr sechzig Jahren also, sind die meisten nach und nach von hier weggezogen. Meine Großeltern lernten sich hier kennen, als Locke nur aus Chinesen bestand. Fünftausend Einwohner, Tag- und Nachtbetrieb in den Opiumhöhlen, jede Menge Prostitution und Glücksspiel, und außer den bestochenen Sheriffs traute sich kein Polizist herein. Dem blütenweißen Ranchbesitzer Locke gehörte die ganze Siedlung und die Cops dachten sich, dass es sein Problem sei, was auf seinem Land vor sich geht. Während der Großen Dürre, der Prohibition, wurde hier ganz offen Schnaps gebrannt und ausgeschenkt, wurden viele Locke-Chinesen reich, und die Triaden lieferten sich gelegentliche Kämpfe um die Pfründe. Aus San Francisco kamen sie her, schwer bewaffnet, in großen, schwarzen Limousinen, und trugen mit Tommy guns ihre Bandenkriege auf der Main Street aus."
     
    Sollte man nicht glauben. Heute war Locke eine Geisterstadt. Ein Geisterdorf. Wie sich die Zeiten doch ändern. Ich bezweifelte, ob hier auch nur einer jemals eine moderne Maschinenpistole aus der Nähe gesehen hatte.
     
    Der Fluss lag ausgestorben da. Keine einzige Feier an Bord eines der wenigen Kabinenkreuzer, kein Romantiker zu sehen, der die Nacht auf dem Wasser verbrachte. Nur Stille, von Fröschen und Grillen aufgelockert. Ab und zu hörte man in der Ferne ein Auto, aber sonst war hier der Hund begraben. So fühle ich mich wohl. Nichts los heißt, keiner hinter mir

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