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Aasgeier

Aasgeier

Titel: Aasgeier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter J. Kraus
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wenige Zentimeter offen.
     
    Barfuß lief ich über den Steinboden in den Nebenraum, wo Rickys Bett stand. Er wachte gerade auf, rieb sich die Augen und setzte zu einem Donnerwetter an. Ich setzte mich neben ihn, nahm ihn in den Arm und flüsterte, er solle leise sein. „Leg dich hin, decke dich wieder zu und warte, bis ich zurückkomme. Kein Wort, keinen Ton, verstanden? Du musst wirklich leise sein, mein Kleiner, sonst könnte sich der Papa wehtun“. Er schaute mich aus riesigen Augen an und nickte.
    „Bist doch mein Großer", flüsterte ich und gab ihm einen Kuss auf die Wange. „Silencio, si?“
    Ricky nickte.
     
    Im Flur spannte ich den Hahn des Government Model Colt 1911, legte den Sicherungsflügel um und ging, noch immer barfuß, zur Hintertür. Der eingelassene Spion zeigte keine Bewegung, keinen verdächtigen Schatten, also schaute ich durchs vergitterte, halb offenstehende Badezimmerfenster auf den Vorhof. Einer der an der Dachkante befestigten Scheinwerfer schien grell auf die Kakteen vor dem Fenster. Mit der Hand versuchte ich die grellsten Strahlen abzulenken, aber die Sicht auf das Gelände war noch immer miserabel.
    Ich ging nach nebenan. Wir hatten dort einen Wäscheraum eingerichtet, eine Waschküche, die eine Direktverbindung zur Garage hatte, und die war durch eine unauffällige Tür von außen zu betreten. Auch hier war ein Spion eingebaut – Rick hatte wirklich vorgesorgt. Als ich durchschaute, kam mir einer entgegen: Zwei, drei Meter war er noch von der schmalen Stahltür entfernt. Der Schlüssel steckte im Schloss. Ich drehte ihn geräuschlos um, schloss auf, trat zur Seite und hielt den Colt mitten auf die sich öffnende Pforte.
    Der Kerl hätte in einen Rucksack gepasst. Eineinhalb Meter mit hohen Absätzen. Er hatte etwas in der Hand, länglich, aus Stahl.
    „Arriba los manos!", forderte ich ihn mit forscher Stimme auf. Hände hoch!
    Das Männchen warf die kleine stählerne Stange klirrend zu Boden, drehte sich um und lief, was das Zeug hielt. Ich sah ihn ans Tor flitzen, sich durch den Spalt zwängen und schoss zwei oder drei Patronen in seine generelle Richtung. Außerhalb des beleuchteten Vorhofs war alles stockfinster – keine Chance, einen auf die Entfernung zu treffen. Was ich eh nicht wollte.
     
    Ich ging zu Ricky zurück, sagte ihm, dass ich mit dem lustigen Ruben Catalan gerade einen Scherz gemacht habe - „war er wieder besoffen, Papi?“ wollte der Kleine wissen, und ich lachte und nickte – und dass ich jetzt Lust hatte, mit ihm, Ricky, vielleicht irgendwohin zu fahren. Feuer und Flamme war er.
    „Musst aber noch eine Stunde schlafen, sonst wirst du nachher zu müde.“
    „Claro, Papi, mach ich. Du weckst mich aber, ja?“
     
    Mir blieb keine Wahl. Irgendwann nach Mitternacht, als sich das Feuer so ziemlich ausgebrannt und die Dorfbewohner nach und nach ihre Kerzen ausgeblasen hatten, weckte ich Ricky.
    „Wir beide gehen zusammen Angeln. Ist das was?“
    „Mit der Suerte Loca?“ Er liebte den Trawler, den Rick gekauft hatte, als er nur eine Zulassungsnummer anstelle eines Namens hatte, und der auf seine alten, wurmstichigen Tage noch zum Glückspilz getauft wurde.
    „Mit der Suerte Loca. Nur du und ich. Wir packen ein paar Sachen, und dann fahren wir raus. Die ganze Nacht“.
    Er konnte vor Aufregung kaum ein Wort herausbringen. Grinste über alle Backen, und als er endlich wieder sprechen konnte, hauchte er nur „fabuloso!“
    Fabuloso. Ich hatte für eilige Fälle eine Handvoll Dollars im Haus, allerdings eine ordentliche Handvoll großer Scheine. Die holte ich aus dem Wandtresor, zusammen mit den Fideicomisos, unseren Immobilienbesitzurkunden, die wir niemals einem Anwalt oder gar der verwaltenden Bank zur Aufbewahrung anvertraut hätten, wickelte alles sorgfältig in Ölpapier und steckte das Päckchen in einen Plastikbeutel. Dann nahm ich die Reisepässe aus dem Tresor, prüfte sie mit kurzem Blick und steckte sie in die Jackentasche.
     
    Rickys Köfferchen war schnell gepackt, für mich nahm ich nur mit, was in den Backpack passte. Hose, Hemden, Socken, Colt, Munition. Ich hatte noch meine Sachen vom Ausflug an Bord, wollte nicht unbedingt nach Haushaltsauflösung aussehen, falls mir jemand über den Weg lief, und würde kaufen können, was ich brauchte. Sobald wir Los Santos hinter uns hatten. So gern ich hier lebte, so gern ich geblieben wäre, so ungern gab ich ein jederzeit erreichbares, wehrloses Ziel ab. Und Ricky brauchte mich, besonders jetzt,

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