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Aasgeier

Aasgeier

Titel: Aasgeier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter J. Kraus
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eben krümeln. Unter gnadenloser Sonne, im Sandstrahl tagelang brausender Winterstürme, der reißenden Flut ausgesetzt wenn die gesamte Regenmenge eines Normaljahres innerhalb eines Tages fällt. Einer der schmiedeeisernen Torflügel hing an einem Scharnier, der andere wurde mit Gewalt aufgedrückt und gab die halbe Einfahrt frei. Einer der beiden lebensgroßen Gipslöwen war von seinem Sockel gestürzt und lag nun dreigeteilt im Sand. Dem anderen hatte der stets fliegende Sand die gelbbraune Lackierung fein säuberlich weggeschmirgelt. Im trüben staubgrau stand er nun Wache über einer kaum noch erkenntlichen Zufahrt. Die einst verschwenderisch blühenden Rosenbüsche zu beiden Seiten der langen, sanft geschwungenen Auffahrt waren längst abgestorben. Nur noch trockene graue Zweige waren geblieben.
     
    Ähnlich wirkte auch das Haupthaus als es endlich in Sicht kam. Irgendjemand hatte mit einer Sprühdose gewütet, sich auf englisch und spanisch verewigt. Sur 13 trat hervor, das Standardgraffiti Südkaliforniens, und das immer beliebte Fuck leuchtete mehrfarbig dreidimensional. Am einstigen Kulturpalast hingen noch Reste der Neonreklame, die einst WELCOME STRANGER gebrüllt hatte. Unter der Aufschrift hing eine Nackte mit acht Neon-Arschbacken, die bei eingeschaltetem Strom hintereinander aufleuchteten und damit dem Betrachter zeigten, dass im Inneren des Etablissements Damen mit dem Hintern wackeln. Die Arschbacken waren bis auf kümmerliche Relikte verschwunden – vielleicht als Souvenir geklaut? – die Aufschrift war bis auf W und ANGER herausgeschossen. Im Hof standen nur noch zwei der ursprünglich vierzehn Wohnanhänger. Selbst der Halbkreis, den die Aluminiumtrailer mal bildeten, war nicht mehr auszumachen. Nur der Maibaum in der Mitte, der die Tänzerinnen-Behausungen mit Strom versorgt hatte, erinnerte daran. Seine Leitungen waren gekappt, vermutlich als der erste Trailer geklaut wurde. Wir trauten uns nicht, einander anzuschauen. Mir wellten die Tränen schon auf, Ignacio schnüffelte hörbar. So eine Scheiße. Ich drehte um.
     
    Da wurde die Tür des einen Wohnwagens einen Spalt geöffnet, ich blickte in einen Gewehrlauf und jemand brüllte „verschwinde!". Vor Schreck trat ich auf die Bremse. Ignacio war schon aus dem Auto gehüpft und rannte zum Trailer. Ich konnte meine Verblüffung nicht fassen. Misty? Hier?
    Es war nicht Misty. Die hübsche Nackte war es, die mir fünf Jahre zuvor solch unruhige Nächte beschert hatte. Die goldblonde Elevin, die – ich wusste es wohl, sprach aber mit Misty nie darüber, weil ich ihr Gast war, und weil ich sie liebte – dort anschaffte, im Wohnwagen ihrem eigentlichen Job nachging, und nebenher zur Stripperin ausgebildet wurde. Denn dass die „Akademie“ weniger vom Tanz als vom Tango lebte, war logisch.
    Mit Ignacio konnte die Goldige nichts anfangen, aber sie strahlte, als sie mich sah. Ein schwerer Fehler. Die hübschen Zähne, die sie einst so strategisch eingesetzt hatte, waren nun futsch. Zwei der oberen Schneidezähne, jedenfalls, und ein paar Lücken sah ich wo einst Backenzähne lebten. Ihre Pupillen sahen aus wie Einstiche. Die Süße schien genascht zu haben. Ich erinnerte mich; Honeybunch war ihr Bühnenname, wenn man will. Honeybunch. So wirkte sie damals, wie jemand, die von ihren Freunden Honeybunch genannt wurde.
     
    Blitzartig drehte sie den Kopf in beide Richtungen, schaute dann in die Ferne, zum Horizont über der Einfahrt, auf der wir hergekommen waren. Dann flüsterte sie „Kommt rein“. Ich drückte mich an ihr vorbei. Sie kniff meine Pobacke.
    Die Bude stank nach Gekotztem, Verderbendem und Verdorbenem. Grauenvoll. Sie sah wohl, wie Ignacio und ich widerwillig den Mief einatmeten. „Ich habe heute noch nicht aufgeräumt", entschuldigte sie sich mit Kleinmädchenstimme und meinte wohl die beiden letzten Jahre. Ekelhaft, die Bude. Was war nur aus der süßen Honeybunch geworden, die meine Gedanken so beflügelt hatte? Und ihrem kleinen Köter? „Ist schon ewig nicht mehr da,“ wedelte sie die Frage weg.
     
    Wir setzten uns zu ihr an den kleinen Tisch. Sie legte den Zeigefinger an die gespitzten Lippen, griff hinter mich und schaltete den CD-Spieler ein. Leise ertönte „Hotel California“ von den Eagles. Sie flüsterte, dass uns jetzt niemand abhören könne. Ich schaute Ignacio an. Der guckte zur Decke hoch.
    „Was ist denn hier passiert? Warum sieht es auf dem Gelände aus, als habe eine Bombe eingeschlagen?“, fragte ich,

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