Wie es Euch gefaellt, Mylady
1. KAPITEL
Mayfair 1814
Bislang hatte Lieutenant Colonel Lord Heath Boscastle sich im Glauben befunden, selbst über sein Schicksal zu bestimmen. Dabei hatte er sich allerdings nicht nur auf der Sonnenseite des Lebens befunden - im Gegenteil. Er hatte schwere Prüfungen durchgestanden und glaubte nun, seinen Frieden verdient zu haben. Schließlich hatte er Krieg und Folter überlebt, gefährliche Spionageaufträge erfolgreich ausgeführt, zwei flatterhaften Mätressen den Laufpass gegeben und war nicht zuletzt mit einer Familie geschlagen, die regelmäßig die vornehme Gesellschaft mit Skandalen brüskierte.
Vermutlich verdankte er die Fähigkeit, sein maßloses Erstaunen über das soeben geäußerte Anliegen seines Freundes Colonel Sir Russell Althorne zu verbergen, seinem reichhaltigen Schatz an Lebenserfahrung.
Ein Mann mit weniger Geschick, seine Gefühle für sich zu behalten, hätte sich wahrscheinlich verraten. Heath zeigte keinerlei Reaktion. Denkbar war auch, dass er unter Schock stand. Er hatte erwartet, dass Althorne ihn mit einer militärischen Mission betraute. Als Soldat, nicht als Begleiter einer Dame. Jedenfalls hatte er nicht damit gerechnet, an ein erotisches Intermezzo aus seiner Vergangenheit erinnert zu werden … so unvergesslich es auch gewesen sein mochte.
„Also?“, fragte Russell zum zweiten Mal, „Tust du mir den Gefallen oder nicht? Ich will diese Sorge los sein, bevor ich abreise. Kümmerst du dich in meiner Abwesenheit um Julia?“
„Das hättest du mich auch früher fragen können.“
„Ich war in Hampshire.“
„Du hättest mir schreiben können.“
„Wieso? Um dir Gelegenheit zu geben, eine passende Ausrede zu finden?“
Heath schüttelte den Kopf. „Du setzt mir also das Messer auf die Brust.“
Die Freunde standen an der Balustrade der prächtigen Marmortreppe im oberen Stockwerk des Herrenhauses in Mayfair. Auf einen neutralen Betrachter im festlich erleuchteten Ballsaal machten die Herren den Eindruck zweier gelangweilter Gäste, die sich aus dem Gedränge zurückgezogen hatten, um in Ruhe eine Zigarre zu rauchen.
Vor einigen Jahren hatten die frischgebackenen Kavallerieoffiziere ihre Freundschaft in Sagunt gefestigt, als Großbritannien ein Heer unter Wellingtons Führung nach Spanien entsandte, um den nationalen Freiheitskampf gegen die französische Fremdherrschaft zu unterstützen. Die Freunde hatten ihre Abenteuerlust mit blutigen Kämpfen und verdeckter Spionagetätigkeit gestillt. Während einer nächtlichen Patrouille war Heath in einen Hinterhalt der Franzosen geraten und gefangen genommen worden. Sein vorgesetzter Offizier, Colonel Sir Russell Althorne, hatte ihn später befreit, wurde während der Kampfhandlungen verletzt und hatte sein linkes Auge verloren. Für seinen Wagemut wurde er von der britischen Heeresleitung mit einer Tapferkeitsmedaille ausgezeichnet.
„Ich kann es nicht tun.“ Heath blickte durch die Rauchschwaden seiner Zigarre hinunter in den Ballsaal, wo die Gäste zwischen Marmorsäulen tanzten und flanierten, und fragte sich, ob die Frau, über die Russell mit ihm sprach, gleichfalls unter den Ballbesuchern war. Würden sie einander erkennen? Was würden sie sagen? Es wäre eine ausgesprochen peinliche Situation nach ihrer flüchtigen, wenn auch intensiven Begegnung vor einigen Jahren. „Ich habe Julia seit Ewigkeiten nicht gesehen und hatte keine Ahnung, dass ihr Ehemann nicht mehr lebt und sie wieder in England weilt.“
Ebenso wenig hatte er gewusst, dass Russell sich bereits mit ihr verlobt hatte. Althorne war schon in der Studienzeit ein ehrgeiziger Streber gewesen. Er schien fest entschlossen, es zu Ruhm und Ehre zu bringen und der Nachwelt in Erinnerung zu bleiben. „Es kostete mich einige Überredungskunst, sie davon zu überzeugen, meinen Antrag anzunehmen“, erklärte Russell mit einem verwunderten Unterton, als begreife er ihr Zögern bis heute nicht. Er war einen halben Kopf kleiner als Heath, stämmiger gebaut, mit rostrotem Haar, haselnussbraunen Augen, kantigen Gesichtszügen und im Auftreten ein wenig raubeinig und ungehobelt. Was ihm an Eleganz fehlte, machte er durch Entschlossenheit und Willenskraft wett. „Kannst du dir das vorstellen? Julia wollte mir einen Korb geben.“
„Was mag sie sich nur dabei gedacht haben?“, murmelte Heath.
„Offenbar gar nichts.“ Russell nickte einer jungen Debütantin zu, die seinen Blick suchte, verwirrt aus dem Takt geriet und ungraziös gegen ihren Tanzpartner
Weitere Kostenlose Bücher