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Aasgeier

Aasgeier

Titel: Aasgeier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter J. Kraus
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nur grinsen. „Ich habe nebenan in der alten Polizeischule mein damaliges Detektivhandwerk erlernt. Insgesamt zwei Jahre büffeln, robben, strammstehen und schießen. Jeden Tag bin ich hier hoch, und jeden Abend wieder nach Hause. Ich kenne noch jeden Hasen im Park – auf alle Fälle die Vorfahren der heutigen Hasenbevölkerung.“
    „Man lernt nie aus“, staunte ich. „Hab immer gedacht, du hättest oben in der Wüste auf Bulle gelernt.“
    Er schüttelte den Kopf. „Da war ich einer, aber gelernt habe ich hier. Nach dem Dienst in der Innenstadt war der Job in Barstow ein reines Zuckerschlecken. So eine Art Dauerurlaub. Was da übers Jahr an Verbrechen vorkam, hatten wir hier vormittags. Die Menge und die Gewalt. Jeden Tag der reine Horror. War schön.“
    Was soll man da sagen. Er ist immerhin Priester.
    „Warum hast du eigentlich den Job gewechselt?", wollte ich wissen, weil ich mich öfter gewundert habe. Ignacio hatte eine selten gute Menschenkenntnis, konnte zuhören, war einer, dem man gern seine Sorgen erzählt und hätte ebenso gut Psychiater sein können.
    „Ich bin eines Tages aufgewacht und habe vor mir selbst Angst gekriegt. Weil ich dabei war, mich zur Unheiligen Dreieinigkeit zu entwickeln; Bulle, Richter, Scharfrichter.“
    Klar, dass ich dachte, er macht Scherze. Ich lachte also pflichtschuldigst, obwohl ich den Witz nicht lustig fand. Er auch nicht. „Ernsthaft. Ich war Detektiv der Mordkommission im Rampart District, sah den ganzen Tag nur Tote und Totmacher. Über tausend Mordfälle pro Jahr musste die Polizei von Los Angeles untersuchen, in unserem Revier allein fiel ein Drittel der Arbeit an. Neunzig Prozent der Schießer waren Drogen-Gangster, zwanzig Prozent der Opfer unter vierzehn Jahre alt, die Hälfte der Ermordeten Frauen. Da saß bei uns allen der Colt locker, und ich merkte, dass ich ihn immer öfter zog. Und immer öfter schoss. An dem Morgen habe ich mir eingestanden, dass ich nichts mehr fühlte, wenn ich jemanden erschoss. Und am gleichen Tag habe ich mich vorzeitig pensionieren lassen, bin eine Woche später weggezogen. Aus der Stadt, aus der Gegend, bin nach Barstow, war anschließend dort oben einige Jahre Cop, aber ich habe nie wieder auf jemanden schießen müssen. Als ich noch immer keine Ruhe fand, kümmerte ich mich um vorläufige Aufnahme in den Orden. Jetzt bin ich endlich soweit, dass ich darüber sprechen kann, ohne dass das Flattern kommt.“
    Ich sah im an, dass er das Gleiche dachte wie ich. Gottseidank drückte er damals ab, als mich der verrückte Bundesbulle kaltmachen wollte. Wenn man immer wüsste, was die Leute motiviert. Was sie hinter sich hatten. Welche Teufel sie mit sich herumschleppen.
    Wir gingen gemächlich den Hang hinab, bis zum Picknickplatz. Dort setzten wir uns, und er schaute mich eine Weile an.
    „Und jetzt?“ Ich blickte auf die Hügel. Machte mich nervös, die Guckerei.
    „Gute Frage. Was nun?“
    „Ich dachte, du hättest vielleicht einen Vorschlag.“ Am liebsten würde ich hier sitzen bleiben bis die Rente anfängt.
    „Klar, aber keinen von der Sorte, die dir weiterhilft.“ Er rutschte auf seiner Sitzbank hin und her, stand auf und spazierte den Weg hoch ins Gestrüpp. Ich wartete, bis er zurückkam.
     
    Seit ich Ignacio kenne, staune ich über die Abwesenheit, die er gelegentlich an den Tag legt. Wenn er überlegen muss, kann er sich unvermittelt in seinen Panzer zurückziehen und ist dann nicht ansprechbar. Er will sicher nicht anecken, aber das Zurückziehen wirkt auf mich immer wie ein Schlag ins Gesicht. Was bei meiner Grübelei allerdings manchmal Tage zur Reifung braucht, kommt bei ihm oft in Minutenschnelle raus. Dann ist er wieder der alte, grinst und weiß, dass niemand ihm böse sein kann.
     
    Das ging mir durch den Kopf, also schaute ich ins Gelände, blickte nach rechts rüber zum Hollywoodschild, dessen Einzelbuchstaben wie ein ungepflegtes Gebiss aus dem Berg wuchsen, und schaute eine Weile den letzten Arbeiten an der riesigen, weißen Sternwarte zu, deren grün angelaufene Kupferkuppel eines der bekanntesten Wahrzeichen der Stadt ist. Der Innenraum des Observatoriums war generalüberholt worden, eine Unterkellerung des Geländes nach jahrelanger Arbeit vollendet, wodurch endlich genügend Platz für Besucherautos geschaffen wurde, aber die Architektur aus den Dreißígern blieb erhalten. Seit ein Teil des James-Dean-Filmes „Denn Sie Wissen Nicht Was Sie Tun“ hier gedreht wurde, ist das Griffith Park

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