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Aasgeier

Aasgeier

Titel: Aasgeier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter J. Kraus
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Berühmtheit schmal, kurvenreich und fordert Entschlossenheit. Auf hundert Kilometer ist kaum ein Haus zu finden, Kneipen und Tankstellen sind dünn gesät, und Gewerbetreibende in dieser Einsamkeit halten sich an keine vereinbarte Öffnungszeit. Wer hier entlangfährt, tut es vorsätzlich. Man muss sich bemühen, ins Big Sur zu kommen. Und wieder heraus.
    Ich ging also die Straße entlang, zurück zur Einfahrt, als mir urplötzlich auffiel wie verwundbar ich hier war. Keine Deckung, kein Schutz, keine Möglichkeit, mich bei Bedarf zu verkrümeln. Der Schuss in der Mojave. Aus dem Nichts. Das konnte sich jederzeit wiederholen. Ich erschrak, schaute über die Schulter und machte, dass ich den Abhang hinauf zur Wiese zurückkam.
     
    Scheiße! Ich musste mich wirklich vorsehen. Der Schreck war mir derart in die Knochen gefahren dass ich mich erstmal setzen musste. Es dauerte eine Weile, bis ich zur Ruhe kam, bis das Herz wieder normal schlug und sich der Knoten im Magen gelöst hatte. Vor lauter Panik prickelten meine Fingerspitzen. Ich fürchtete wirklich, mir in den vergangenen Wochen einen leichten Dachschaden eingehandelt zu haben. Zwecklos, so weiterzumachen. Ich traute keinem mehr, hatte unerklärliche Angstanfälle, war völlig aus dem Häuschen, wenn mal etwas Unvorhergesehenes geschah, und fürchtete mich ständig. Auch wenn ich es meist nicht erkennen ließ. Ich hatte dauernd Muffensausen.
     
    Señor Gallina, Mister Muffe, Herr Hühnchen: Meine Dorfnachbarn in Baja hatten doch recht. Meist war ich ja einigermaßen locker, aber so eine Panikattacke kam unvermittelt und versaute mir auf Stunden hinaus die Stimmung.
     
    Nach einer Weile hob ich den Kopf und schaute erstmal auf den Verkehr. Als weder von Norden noch von Süden ein Auto zu sehen war, spurtete ich über die Wiese zurück zur Klippe, kletterte vorsichtig den Steilweg zum Strand hinab und marschierte in Bobbys Studio.
    „Wenn es dir nichts ausmacht, bleibe ich ein wenig hier sitzen und schaue dir zu.“
    Er nickte mir freundlich zu. „Die Feinheiten sind schon erledigt. Nur noch das Grobe, und das ist bis heute Abend fertig. Setz dich nur.“
    Zorbian stand sinnend vor seiner Vielbusigen. Nackt, natürlich, wie sie. Ich merkte, dass er an leichter Penisschwellung litt. Erstaunlich auf Zack für einen Dreiundneunzigjährigen. Sagte ich ja schon.
    Er sah, dass ich hinsah. „Passiert mir gelegentlich, wenn ich an sie denke. Vielleicht male ich sie deshalb so oft.“
    Masseltov, alter Sack. All the best. Verdammt, wenn ich in seinem Alter nur auf so was hoffen könnte. Aber erstens hatte ich jetzt schon zu oft „gelegentliche“ Schwierigkeiten mit der Schwellmechanik und zweitens würde ich niemals so alt werden. Unmöglich. Besonders, wenn meine Angstzustände anhielten. Nicht daran zu denken.
     
    Wir frühstückten, erzählten während des Essens von alten Zeiten und neuen Plänen – ich hörte interessiert zu, sie fragten mich nicht, was ich vorhatte, und ich schätzte ihre Diskretion – und sie beschlossen, am späten Nachmittag nach San Luis Obispo zu fahren. Einkaufen, bummeln, vielleicht ins Kino.
     
    Bobby kam später zum Strand, um mir seine neuesten Meisterwerke zu zeigen. Stolz wie ein Spanier packte er die dünne Ledermappe aus, die seine Arbeit sauber und trocken hielt. Geburtsurkunde, Führerschein, Reisepass, Schulzeugnisse, Social Security Card, die Army-Entlassungsurkunde, die der Welt mitteilte, dass ich in allen Ehren aus dem Ringen um die Erhaltung und Verbreitung der Freiheit in ebendiese entlassen wurde, eine Kreditkarte mit einem seit wenigen Tagen überfälligen Saldo von etwas über hundertzwanzig Dollar, diverse Strom- und Telefonrechnungen, einen alten Mietvertrag für eine Wohnung in Boise, Idaho, und ein paar recht heiße Liebesbriefe verschiedener Damen holte er aus der Tasche.
    Ich konnte nur staunen und nach gebührender Betrachtung seiner sagenhaften Arbeit ängstlich fragen, was das alles kosten würde. Er nannte einen Betrag, den man gewöhnlich als „Freundschaftspreis“ bezeichnet. Zweitausend Dollar. Allein der Pass war soviel wert. Ich stand tief in seiner Schuld.
    „Quatsch, du hast mir mehr geholfen, als uns beiden damals klar war. Damals bin ich über den Hügel nach Cornwall gefahren, habe mich in meine beschissene kleine Waldhütte gesetzt und wusste nicht, was ich nun mit meinem Leben anfangen sollte. Buchstäblich fünf Minuten später rief Zorbian an. Den hatte ich seit den frühen Sechzigern

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