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Abdahn Effendi. Kleinere Erzählungen

Abdahn Effendi. Kleinere Erzählungen

Titel: Abdahn Effendi. Kleinere Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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mit dem anderen Ende auf den entblößten Kopf des Musterwirtes nieder. Das war ein Schlag, der sehr leicht töten konnte.
    Man kann sich denken, in welcher Aufregung sich die auf dem Kirchhofe befindliche Menschenmenge hin-und herbewegte. Der Pfarrer und der Lehrer Bernstein waren fast die einzigen, welche sich nicht vom Schrecke beherrschen ließen. Während der Lehrer sich bemühte, unter den Dorfbewohnern die verlorene Ruhe wieder herzustellen, sorgte der Geistliche zunächst für die Entfernung der Tochter des nun doch noch nicht Begrabenen. Das Herzle mußte sie in das Pfarrhaus bringen, wo die Frau Pastorin sich liebevoll ihrer annahm. Doch blieb das Herzle auch bei ihr.
    Sodann mußte vor allen Dingen der Lebende von dem Toten getrennt und aus dem Grabe herausgeholt werden. Aber als man dies versuchte, lagen die Arme des Wirtes so fest und starr um die Leiche, daß man sie unmöglich auseinander bringen konnte. Es hatte ganz den Anschein, als ob der erstere vor Schreck nun auch gestorben sei. Das war beinahe grauenhaft! Sie wurden, beide vereint, mit großer Mühe emporgeschafft und einstweilen neben dem Grabe hingelegt. Was sollte man nun mit ihnen machen?
    Man versuchte noch einmal, die Arme und Hände des Wirtes vom Bauer loszumachen, aber es ging nicht. Da war der Pfarrer der Ansicht, daß ein Arzt zu holen sei. Im Dorfe gab es keinen, und bis in die Stadt war ein weiter Weg. Es wurde also nach dem Gasthofe geschickt; der Kutscher solle sofort anspannen und den dortigen Bezirksarzt holen, da vielleicht ein plötzlicher Todesfall zu konstatieren sei. Wo aber inzwischen mit den beiden so fest vereinten Körpern hin? Auch hier wußte der Geistliche den besten Rat.
    »Hoffentlich lebt Herr Frömmelt noch,« sagte er. »In diesem Falle gehört er nach Hause; aber da müßte er von dem Verstorbenen los, und das geht leider nicht. Oder vielleicht in das Leichenhaus? Nein, denn dort gehört kein Lebender hin. Schafft sie hinüber in meine Sakristei; ich hole schnell den Schlüssel. Aber deckt sie zu. So ein Anblick ist nicht für neugierige Menschen!«
    Er ging. Die Träger zogen, schnell bei der Hand, den unteren Teil des Sarges aus dem Grabe und legten die beiden hinein. Daß dabei der Wirt nach unten zu liegen kam, das ließen sie als einfachen Zufall gelten; sie dachten nicht daran, daß ein Unterschied zwischen lebendig und tot zu machen sei. Hierauf wurde der Sarg auf die Bahre gestellt. Dann holten sie auch den Deckel, welcher über die Körper gelegt wurde, weil er doch einmal zum Sarge gehörte. Ueber das Ganze breitete man das Leichentuch – – der Neugierde wegen, wie der Pfarrer gesagt hatte. Auf den Schlüssel brauchte man nicht zu warten. Es war ja mit den Glocken geläutet worden und die Kirche also offen. Man trug die Bahre hinein.
    Das letztere alles hatte der Totengräber geleitet. Er war der Beamte hierzu und ein erfahrener Mann. Darum sorgte er pflichtgemäß dafür, daß kein Unberufener mit in die Kirche kam, er war also mit den Trägern dort allein. Er eilte ihnen voraus nach der Tür zur Sakristei. Sie war nur für die Figur des Geistlichen berechnet und erschien ihm für die breite Bahre zu schmal zu sein. Darum ließ er die letztere einstweilen auf dem Altarplatze niedersetzen. Die Träger kamen zu ihm, um auch zu begutachten, ob hindurchzukommen sei. Sie taten das mit leisen Stimmen. Das erforderte der heilige Ort, an dem man sich befand, und an welchem nur der Pfarrer in lauten Worten sprechen durfte.
    In diesem Augenblicke kam dieser ihnen nach, den überflüssigen Schlüssel in der Hand. Er stand am vorderen Eingange und überschaute schnell die Situation. Von rechts her schien die Sonne durch das Fenster, gerade auf das große Altarbild, welches Herr Frömmelt vor zwei Jahren zum Kirchenjubiläum gestiftet hatte. Es stellte die Auferstehung von dem Tode dar, nach der Ansicht des betreffenden Malers. Der Körper lag im Sarge, sichtbar schon in Verwesung übergegangen. Aus dieser Verwesung stieg der Geist heraus, dem der Künstler die Gesichtszüge des frommen Spenders gegeben hatte. Sie traten jetzt im Sonnenstrahle mit größter Deutlichkeit hervor.
    Vor diesem Bilde stand die Bahre in jenem Halbdunkel, welches selbst am hellen Tage kleinfensterigen Kirchen eigen ist. Der Geistliche erschrak, als er sah, in welcher Weise man seine Anordnungen ausgeführt hatte. Er eilte herbei, um das schwere, erstickende Tuch schnell herabzureißen, war aber noch nicht ganz heran, so blieb er

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