Abdahn Effendi. Kleinere Erzählungen
konnten. Auf diese Weise hatte es jetzt seine dreizehn Pfennige zum Vorschein gebracht und stritt sich nun mit dem ›Majörle‹ herum, welches behauptete, daß das noch lange kein so übermäßiger Reichtum sei. Der Major aber hatte während seiner letzten Worte einen Louisdor aus seiner Börse genommen. Den legte er dem Sonnenscheinchen hin.
»Wieviel ist das?« fragte das Kind, indem es die schöne, glänzende Münze gegen die Sonne hielt.
»Fünf Taler! Herr Major?« rief Felber aus, beinahe erschrocken über die reiche Gabe.
»Hörst du? Fünftausend Taler!« wiederholte das ›Majörle‹ seiner kleinen Nachbarin, ohne zu fragen, ob es erlaubt sei, drei Nullen als Vergrößerungsgläser zu benutzen.
»Fünftausend! Ist das wahr?«
Das Sonnenscheinchen hatte noch keinen klaren Begriff von Tausenden, aber daß es un-, un-, unendlich viel sei, das ahnte es.
»Natürlich! Fünftausend! Man bekommt einen ganzen Pachthof dafür!« versicherte das überschwengliche ›Majörle‹. »Komm, tu’ jetzt alles schnell wieder in die Büchse. Erst warst du arm; jetzt aber bist du durch meinen Papa reich geworden, fast reicher noch als ich, denn mir gibt er immer nur so lumpige, silberne Viergroschenstücke!«
Er warf seinem Vater einen vernichtenden Blick hinüber und half dann, das Geld wieder in die Büchse heimsen. Als dies geschehen war, brachen die Herrschaften auf. Felbers gingen mit bis an den Wagen.
»Das ist ein Mietwagen aus der Stadt,« erklärte das ›Majörle‹. »Er kostet zehn Neugroschen für die Stunde. Vorher fuhren wir auf der Bahn. In Dresden aber haben wir unsere eigenen Pferde zum Reiten und zum Fahren, und Wagen dazu, sogar auch einen Schlitten. Vielleicht lade ich dich zu meinem Geburtstag ein, Sonnenscheinchen. Du hast mir sehr gefallen!«
Der Herr Major gab, ehe er einstieg, den Felbers allen die Hand. Die Frau Major folgte diesem Beispiel und küßte dann Sonnenscheinchen noch extra auf den wohlgespitzten Mund. Das ›Majörle‹ nickte den neugierig herbeigeeilten Dörflern huldreich zu. Dann zogen die Pferde an, und als der Wagen hinter der nächsten Krümmung des Weges verschwunden war, drängten sich die Leute an Felber heran, um ihrer Freude über die ihm widerfahrene große Ehre Ausdruck zu verleihen. Er schien um wenigstens fünfhundert Prozent in ihrer Achtung gestiegen zu sein. Sie wollten erfahren, wie er zu dieser Ehre gekommen sei. Er sollte erzählen. Sie trennten ihn von Schwiegermutter, Frau und Kind. Und als er bat, daß man ihn doch gehen lassen möge, wurde er einfach umringt und, halb gezogen, halb geschoben, in die Gaststube des Wirtshauses gebracht, wo man ihn zwang, sich niederzusetzen und Bericht zu erstatten.
Frau Paule nahm das Sonnenscheinchen an der Hand und ging mit ihm und der Mutter nach dem Häuschen zurück. Dort setzten sie sich wieder an den Tisch, wo es noch Kaffee gab, weil die sehr bauchige Kanne nicht leergetrunken worden war. Natürlich wurde von den beiden Frauen der Besuch auf das ausführlichste durchbesprochen. Während dies geschah, beschäftigte sich das Kind in seiner stillen Weise, wobei es unter dem Stuhle, auf welchem die Frau Major gesessen hatte, etwas liegen sah, was sich da jedenfalls nicht auf dem rechten Platze befand. Das Sonnenscheinchen hob es auf und brachte es der Mutter. Es war ein kleines Buch, in welchem ein Bleistift steckte. Auf der vorderen Seite des Einbandes war in goldenen Buchstaben das Wort ›Poesie‹ zu lesen. Paule schlug es auf und sah die beschriebenen Blätter nach. Sie hatte ihre Schulzeit gut angewendet und war noch heute eine fleißige Leserin. Mutter brachte aus der Leihbibliothek in der Stadt oft Bücher mit, aus denen Abends vorgelesen wurde. Das war ihrem Manne lieber als die unnütze Weise, in welcher andere oft bis spät in die Nacht hinein im Gasthofe saßen. Darum machte es der Paule keine Mühe, zu erkennen, was für ein Buch das Kind gefunden hatte.
»Die Frau Major muß es mit dem Tuche aus der Tasche gezogen haben,« sagte sie. »Da ist es heruntergefallen, ohne daß wir es gesehen haben. Es stehen lauter Gedichte drin. Die hat die Frau Majorin wohl selbst gemacht, denn es ist vieles ausgestrichen und verändert worden. Auch heute hat sie gedichtet. Das sehe ich am Datum auf der letzten Seite und auch an der Ueberschrift. Die lautet: ›Sonnenscheinchen.‹ Mutter, ist das nicht sonderbar?«
»Freilich wohl!« antwortete die Gefragte. »Ein Gedicht über unser Kind! Wann mag sie es wohl
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