Abendfrieden
querten sie den Rathausmarkt und bummelten über die Mönckebergstraße bis zu ihrem Parkplatz bei der Sankt-Petri-Kirche. Im Passagen-Viertel wäre Elke Clausen gern noch in ein paar Läden für Wohnaccessoires gegangen, aber das musste sie auf ein anderes Mal verschieben.
Jetzt wurde es spannend. Wohin würden die beiden fahren? Nach einer Rückkehr zum Museum sah es nicht aus, das ›Tee-Juwel Am Sandtorkai‹ funktionierte offensichtlich auch mit Minimal-Besetzung. Ich muss aufpassen, dass ich sie nicht verliere, dachte die Kommissarin, keine Ahnung, wo sie hin wollen. In seine Villa würde der alte Holthusen die Dame wohl kaum schleppen. Die depressive Schwiegertochter war dort, vielleicht könnte auch Thomas, der Muttersohn, auftauchen.
Der dunkelblaue Mercedes fuhr aus der City hinaus Richtung Pöseldorf. Wollten sie auch dort noch Klamotten kaufen? Der Wagen schwenkte in die Alsterchaussee und parkte vor einem modernen hellen Wohnhaus mit Erker-Anbau. Eng umfasst steuerte das Paar auf den Eingang zu, aus ihrer schwarzen Kroko-Tasche nahm Irene von Sassnitz einen Schlüsselbund. Das war’s dann, dachte Elke Clausen. Wahrscheinlich Liebe am Nachmittag. Weiter konnte sie sich nicht heranpirschen. Und was drinnen passiert, geht niemand was an. Wäre sie jetzt in einem TV-Krimi, wäre natürlich alles ganz einfach: Irgendwo ginge ein Licht an, und man wüsste gleich Bescheid, wo sich die Verdächtigen aufhielten. Aber im Moment war Nachmittag und das im April. Außerdem pflegten sich die Fremdgeher im Film immer vor aufgezogenen Gardinen zu lieben. Ein gut sichtbarer Coitus vor den Augen der Verfolger, und alles war klar …
Elke Clausen näherte sich vorsichtig dem Haus und sah auf die Klingelschilder. »von Sassnitz« – das Schild war dem ersten Stock zugeordnet. Die Kommissarin sah zu den Fenstern hinauf. Frustriert drehte sie sich um und ging zu ihrem Auto zurück.
18
Werner Danzik fuhr schneller. Er war auf dem Weg zur Gerichtsmedizin, dem Institut für Rechtsmedizin in Eppendorf. Wieder mal dem Tod ins hässliche Gesicht schauen. Auf den Verkehrsinseln blühten satt und gelb Narzissen, der Stadtpark, an dem er vorbeifuhr, lud mit seinem frischen Grün die ersten Picknick-Gäste ein. Neues, knospendes Leben, wohin man blickte, und er bewegte sich der stinkenden Vorhölle der endgültigen Auslöschung entgegen. Dabei war der süßlich-durchdringende Leichengeruch kaum zu bemerken, die modernen Klima-Anlagen arbeiteten höchst effizient, es war mehr die persönliche Erwartungshaltung, es könne stinken, die ihn jedes Mal anspannte. Seltsam, dass die Angst vor dem Geruch noch stärker war als die Angst vor dem Anblick der Toten. Wenn er den Sektionssaal betrat, atmete er anders, am liebsten hätte er das Atmen ganz gelassen, er spürte ein wachsendes Unbehagen, als könne etwas geschehen, das ihn die Kontrolle über sich verlieren ließ. Wenn er dann erst mal neben dem Stahltisch stand und Hajo Urban ihm, direkt an der Leiche, die fachlichen Details erläuterte, verlor sich der Schrecken. Eingeweiht und involviert in die neuen Erkenntnisse, wurde er wieder zum Kommissar, den der Fall mitriss und elektrisierte, zum Jäger, der die Beute wollte, um jeden Preis. Auch wenn der Preis manchmal hoch war und die eigene Sensibilität auf die härteste Probe stellte.
Doktor Hajo Urban, der leitende Gerichtsmediziner, war in Ordnung, fand Danzik. Ein freundlicher, zugänglicher Kumpel, der sein Wissen unarrogant und verständlich rüberbrachte. Die zynische Ausdrucksweise, die manche Mediziner pflegten, hatte er nicht angenommen, er hatte solche Abwehrmechanismen nicht nötig. Er stand zu seiner Arbeit, und er hielt sie gut aus. Aber wiederum nicht so gut, dass er mit seinem Frühstücksbrot neben der Leiche gestanden hätte …
Die Stahltür zum Sektionssaal öffnete sich automatisch, Danzik trat vor und blieb an der gefliesten Wand stehen. Er blickte nach oben zu der großen Glaskuppel, durch die ein Strom strahlenden Frühlingslichts nach unten floss, hinunter auf die wächserne Gestalt, die Doktor Urban mit Latex-Handschuhen und im grünen Kittel untersuchte. »Komm her, Werner, grüß dich. Nur keine Müdigkeit vorschützen, sagt meine Tante immer.« Hajo Urban lächelte fast amüsiert.
»Müde? Keine Spur. Ich bin so munter wie nie. Amalie Mewes. Ich bin gespannt, was du mir zu sagen hast.«
»Immer mit der Ruhe. Warum bleibst du da hinten stehen? Nun komm doch her. Jetzt, in der schönsten Pollenzeit,
Weitere Kostenlose Bücher