Abendfrieden
vorbeugend wappnen. Nur ein leichtes Zittern verriet, dass ihre steinerne Maskierung nicht ganz perfekt war. Sie wies mit der Hand zum Sofa. Während sich die Kommissare setzten, hinkte sie zu einem Sessel. »Sie sind eine alte Schulfreundin von Elisabeth Holthusen«, begann Danzik.
»Ja und?«
Der barsche Ton ließ den Kommissar sekundenlang zusammenzucken. »Wir wissen, dass Frau Holthusen durch unglückliche Umstände den Tod Ihres Sohnes verursacht hat.«
»Umstände … verursacht … so kann man es auch ausdrücken. Schuld war sie!« In Edith Niehoffs fahlem Gesicht flammte etwas auf, um ebenso schnell wieder zu verschwinden. »Sie hat meinen Sohn getötet. Sie hat mein Leben zerstört.«
»Wann haben Sie Frau Holthusen zuletzt gesehen?«
Die alte Frau starrte zu Boden. Endlich blickte sie auf. »Nach dem Tod meines Sohnes habe ich Elisabeth überhaupt nicht mehr gesehen.«
»Aber gesprochen«, fuhr Tügel dazwischen. »Sie haben sie am Telefon bedroht.«
»Woher haben Sie denn diesen Quatsch?«
»Das tut jetzt nichts zur Sache. Sie haben sogar Geld verlangt.«
Edith Niehoff schwieg. Ihr Mund, der permanent ein wenig beleidigt aussah, verzog sich noch mehr. »Haben Sie nun Geld gefordert oder nicht?«
»Gefordert … Elisabeth hat es mir angeboten. Weil sie sich schuldig fühlte.«
Die Kommissare nahmen sie in die Blickmangel, bis sie errötete. »Und? Ist das so schlimm? Die haben es doch schließlich ganz dicke, während ich mein Leben lang herumknappse.«
»Wie oft haben Sie Geld genommen?«, fragte Tügel. »Dreimal. Danach musste ich einen Vertrag unterschreiben, dass ich nie wieder über diesen Vorfall spreche. Damit es nicht der Firma schadet.«
»Dann haben Sie Frau Holthusen also doch gesehen!«
»Na ja – ein einziges Mal.«
Schweigegeld, ging es Danzik durch den Kopf. Sie hat ihren toten Sohn verkauft. »Haben Sie Elisabeth Holthusen verziehen?«
»Nun hören Sie doch mit diesem christlichen Kram auf!« Tatsächlich schlug die Niehoff jetzt ihren Stock auf den Boden.
Eine Unversöhnliche, dachte Danzik. Und ein ziemlich verpfuschtes Leben. War die Frau zu einem Mord fähig? Noch immer schien sie vor Rache zu glühen. Er musste sie aus der Reserve locken. »Ich verstehe Sie. So etwas kann man nicht verzeihen. Das alles ist sehr sehr schwer für Sie. Und wenn man dann noch mit Krankheit belastet ist …«
Edith Niehoff sah ihn an. Erstaunt, im Blick ein letztes Fünkchen Misstrauen. »Ich weiß, wie das ist. Bin selbst chronisch krank.« Danzik klopfte sich auf die Bronchien, während Tügel ein Grinsen unterdrückte. »Darf ich fragen, womit Sie geschlagen sind?«
»Arthrose. Deshalb muss ich diese Übungen machen.«
»Und wahrscheinlich einen Haufen Medikamente nehmen. Oh, ich kenne das.«
Edith Niehoff war zusammengesunken. »Sie ahnen ja gar nicht, was das für Schmerzen sind. Tabletten, Tabletten, Tabletten. Ich bin ganz kaputt davon.«
»Ja, so ist es.« Danzik legte Mitgefühl in seine Stimme. »Man wird schwach, es geht aufs Herz. Müssen Sie auch Herztabletten nehmen?«
»Ja, muss ich. Das Herz will nicht mehr.«
»Wahrscheinlich Digitoxin, nicht wahr?«
»Ja, Digitoxin. Aber wie kommen Sie darauf?« Edith Niehoff hob ihren Kopf. Sie fixierte den Kommissar mit einem durchdringenden Blick. »Das ist doch sehr bekannt. – Sagen Sie, Frau Niehoff, wo waren Sie am 18. März zwischen Mittag und 19 Uhr?«
»Ah, daher weht der Wind!« Die Alte verzerrte das Gesicht und rammte den Stock auf den Boden. »Sie wollen ein Alibi, Sie glauben, dass ich Frau Holthusen ermordet habe!«
»Wir glauben gar nichts. Bitte beruhigen Sie sich und schauen Sie in Ihren Kalender, was Sie an dem Tag gemacht haben.«
»Reine Routine«, lächelte Tügel.
Aber Edith Niehoff gab nur ein schnaubendes Geräusch von sich. Dann hinkte sie zu einem Kirschbaum-Sekretär hinüber, zog den Kalender zu sich heran und schlug mit zittrigen Fingern das Datum auf. »Da hat mich meine Nichte ins Café ›Funkeck‹ eingeladen. Zu Kaffee und Kuchen. Anschließend sind wir mit ihrem Auto an die Elbe gefahren und haben in Schulau die an- und abfahrenden Schiffe beobachtet. – So, sind Sie jetzt zufrieden?«
»Wann waren Sie zu Hause?«, fragte Danzik.
»Jedenfalls weit nach 19 Uhr.«
»Dann schreiben Sie doch mal die Adresse und Telefonnummer der Nichte auf«, sagte Tügel.
Edith Niehoff warf den Kalender zurück und riss ein Blatt von einem Block. Mühsam hinkte sie zurück. Sie sah an Tügel vorbei und
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