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Abenteuer des Werner Holt

Abenteuer des Werner Holt

Titel: Abenteuer des Werner Holt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Noll
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Maaß gesagt hat? Dein Scharlach wäre ein ganz raffinierter Trick, daß er dich nicht bestrafen kann. Da ist Gomulka aufgestanden und hat gesagt: ›So ein Trick will gekonnt sein, Herr Studienrat!‹ Maaß hat ihn gleich zwei Stunden eingesperrt.«
    Ein andermal brachte Wolzow den kleinen Peter Wiese mit und hievte ihn über die Mauer. Wiese riß sich dabei ein Dreieck in die Hose. »Wenn du gesund bist, spiel ich dir vor, was du willst.« Tags darauf gab er Bücher für Holt ab.
    Holt hatte schon immer viel gelesen, und in diesen Tagen, da er im Bett lag und ungeduldig seiner Entlassung entgegensah, las er wahllos, was man ihm aus der Anstaltsbibliothek brachte. Da waren viele seiner Lieblingsbücher dabei, die er nun zum zweiten oder dritten Male durchschmökerte: Stevenson und Jack London, Karl May und die Indianerbücher von Fritz Steuben, Gagerns »Grenzerbuch«, eine Feldpostausgabe »Auswahl aus Nietzsches Werken«, Hanns Johsts »Ave Eva« und natürlich Kriegsbücher, immer wieder Kriegsbücher, von den Taten des U-Bootfahrers Weddigen bis »Sieben vor Verdun«, und dann Ernst Jünger, »Das Wäldchen 125«, »Feuer und Blut« und »In Stahlgewittern« … Beumelburg, Zöberlein, Ettighoffer und was es noch alles gab … Nun las er, was Peter Wiese gebracht hatte: Novellen von Storm und einen Band »Märchen der Romantik«.
    Er lag unbeweglich in seinem Bett und sann über die Gestalten nach, die er leibhaftig vor sich sah: Elisabeth, das Puppenspieler-Lisei und die dunkle Renate vom Hof … So ein Mädchen müßte man kennenlernen, dachte er beklommen. Wolzow verabscheute Mädchen und fand Liebe unmännlich; Holt aber hatte das Unvereinbare stets zu vereinbaren gewußt: die Heldengestalten aus der Nibelungensage oder aus König Laurins Mantel verwob er mit Indianerhäuptlingen, Westmännern und den feldgrauen Gestalten der Kriegsbücher zu einem idealen Heldentypus, in dessen abenteuerlichem Leben für das Grauen der Märchendrachen ebenso Raum war wie für die Anmut Stormscher Mädchenfiguren oder den Gerechtigkeitsfanatismus Karl Moors … Nun las er bei Novalis von einem Liebespaar, in einer Felsenhöhle, bei Blitz und Donner, welches »der erste Kuß auf ewig zusammenschmelzte« … Der erste Kuß … wie mag das sein?
    Er war als Einzelkind aufgewachsen, frühreif, einmal kindisch und ausgelassen, dann wieder ernst, in sich gekehrt. Die frühen Regungen des Geschlechts stürzten ihn in Sehnsüchte undTräume; die Mädchen übten eine immer stärkere Anziehungskraft auf ihn aus, und wo er kein Geheimnis finden konnte, dort schuf er sich eins, indem er das Natürliche mit jenem mythischen Schleier verhüllte, der in zahllosen Büchern die Begriffe von Leben und Liebe verdunkelte, bei Hanns Johst zum Beispiel: die Frau steht im Blutdienst der Schöpfung … Vom ewigen Evangelium der Frauen, vom verrätselten Mythos des Geschlechts las er und grübelte … Die Antwort mußte das Leben geben. Er war ungeduldig, voll Sehnsucht nach Abenteuern und Bewährung.
    Seine Eltern waren seit Jahren geschieden; er war bei der Mutter geblieben, der vermögenden Frau aus einer Industriellenfamilie; er war ihr mehr und mehr entglitten, obgleich sie ihn verwöhnt und versucht hatte, ihn für sich zu gewinnen. Er war ihr schließlich mitten im Krieg davongelaufen, in Hamburg aufgegriffen und wieder zurückgebracht worden, und endlich, ein Jahr später, hatte sie seinen Wünschen nachgegeben und ihn aus dem Haus gelassen, hierher, in die kleine Stadt, die ihr von irgendwem als idyllisch und heilsam empfohlen worden war und die weitab von den Industriezentren lag, über denen sich das Unwetter der Bombardements immer dichter zusammenzog.
    Hier war Ruhe. Ringsum waren die Berge von Wäldern bedeckt, eine dünnbesiedelte Landschaft breitete sich weit aus. Hier fühlte Holt sich wohl. Er war in Leverkusen und Bamberg aufgewachsen. Seine Bindung an Vater und Mutter, die er durch Jungvolk und Hitlerjugend von Kindheit an gelernt hatte geringzuschätzen, war endgültig zerrissen und hatte sich in Sehnsucht verwandelt, nach einem Freunde und nach dem anderen Geschlecht. Der Freund schien nun endlich gefunden.
    Wolzow, so überlegte Holt, durfte von alldem nichts wissen: von den Leidenschaften auf Haderslevhuus, von Elisabeth, Undine und dem ersten Kuß in der Felsenhöhle. Wolzow pfiff unter dem Fenster, Wolzow hatte andere Sorgen: »Du mußt jetzt schnellstens kriegerische Tugenden entwickeln!«
     
    In den ersten Julitagen

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