Abenteuer meines ehemaligen Bankberaters
wollen, dass er damit
aufhört, weil Sie gar nicht wollen, dass ich Ihnen nicht mehr schreibe. Sie
ertappen sich doch sogar ab und zu dabei, enttäuscht zu sein, wenn eine neu
eingehende Mail nicht von mir ist. Wir sind für einander doch längst Teil
unseres Lebens geworden. Wir können uns doch gar nicht mehr genau erinnern, wie
es ohne den anderen war.
Ist es nicht so, Herr Willis? Ist es nicht genau so?
Ihr
Tilman Rammstedt
Mein ehemaliger Bankberater zählte gern Gründe auf, auch wenn
er beim Zählen meistens nur bis zur Eins kam. »Erstens, weil es sich nicht
rechnet«, sagte er zum Beispiel und hielt mit dem linken Zeigefinger seinen rechten
Daumen fest. Dann überlegte er noch kurz, bevor er beschloss, dass ein Grund
schon ziemlich viel sei, und auf jeden Fall mehr als genug.
Sehr geehrter Herr Willis,
ich kann mir vorstellen, warum Sie nicht antworten. Wahrscheinlich
reizt Sie die Rolle zwar sehr, aber Sie sind jetzt beleidigt, weil ich Sie nur
für ein paar Seiten des Romans benötige. Dass Sie doch kein Stuntman seien, murmeln Sie vor sich hin, kein Body-Double,
kein Feuerwehrmann, der nur schnell mal eine brenzlige Situation löscht
und anschließend am Buffet im Weg steht. Dass ich Ihnen die Rolle des
Bankberaters außerhalb der brenzligen Situation wohl nicht zutrauen würde,
murmeln Sie. Weil der Bankberater ja meiner Meinung nach zu vielschichtig für
Sie sei, zu facettenreich. Dabei können Sie doch auch facettenreich, da sind
Sie sich ganz sicher, aber viel zu selten wird das von Ihnen verlangt. Ihre
vielen Facetten sind untrainierte Muskeln, die langsam verkümmern, weil sie
nicht ausreichend beansprucht werden.
Und Sie erinnern sich, wie Sie damals im Schultheater den Hamlet
gespielt haben. Sie hatten bei der Premiere im zweiten Akt einen Aussetzer, Sie
sind ein paarmal über Ihren Umhang gestolpert und beim Schlussapplaus einmal zu
oft rausgegangen, aber Sie haben Hamlet verdammt noch mal verstanden, und
Hamlet hat Sie verstanden, so wie keine Rolle nach ihm. Dieses Gefühl vermissen
Sie. Dieses Gefühl, keine Rolle zu spielen, sondern einen Freund.
Aber wissen Sie was, Herr Willis? All das können Sie auch in einer
einzigen Szene erleben, auf zwei, drei Seiten. Das traue ich Ihnen zu. Sie
können das ganze Vorgeplänkel auslassen und gleich in die brenzlige Situation einsteigen.
Sie sind doch kein Mann, der sich mit Vorgeplänkel aufhält. Sie brauchen doch
keinen Anlauf, um die ganze Vielfalt einer Figur zu zeigen. Und der Bankberater
in meinem Roman ist zwar kein Hamlet, da will ich Ihnen jetzt nichts Falsches
versprechen, aber zweifellos eine überaus facettenreiche Person. Das hat er mir
jedenfalls mehrmals versichert. Sonst wäre ich doch nie auf die Idee gekommen,
ein Buch über Sie zu schreiben. Und Ihnen biete ich jetzt die Möglichkeit,
diese Figur zu retten, das glückliche Ende zu retten und sich selbst und mich
in einem Aufwasch gleich mit dazu.
Sie haben also wirklich keinen Grund, beleidigt zu sein. Wenn
überhaupt, dann hätte ich einen Grund beleidigt zu sein, weil Sie nicht sofort
zusagen. Aber das bin ich nicht, dafür respektiere ich Sie zu sehr. Als
Schauspieler und als Mensch, mit all Ihren Facetten.
Ihr
Tilman Rammstedt
Zum Termin nach meinem Geburtstag hatte mir mein ehemaliger
Bankberater einen Kuchen gebacken, auf den er während unseres Gesprächs so
lange schaute, bis ich ihm schließlich ein Stück anbot. »Noch einmal: Herzlichen
Glückwunsch«, sagte er mit vollem Mund und suchte auf seinem Computer nach
einer Aufnahme von »Happy Birthday«, fand aber keine und spielte mir
stattdessen etwas von Shakira vor. Später nahm er sich noch ein zweites
Stück.
Sehr geehrter Herr Willis,
ich möchte Sie ungern drängen, aber langsam wird es für mich
wichtig, ein wenig Planungssicherheit zu bekommen. Andauernd muss ich irgendwen
vertrösten (meinen Verlag, meine Frau, mich selbst), weil mich alle fragen,
wann denn das glückliche Ende kommt, von dem ich immer rede, und langsam gehen
mir die Ausreden aus.
Ich kann mir mittlerweile den Roman ohne Sie gar nicht mehr
vorstellen. Je länger ich darüber nachdenke, desto klarer wird mir, dass Sie für
die Rolle meines Bankberaters einfach perfekt geeignet sind, viel besser als er
selbst. Sie füllen genau die Lücke, die er beim Aufwachen in sich spürt. Wenn
er in den Spiegel schaut, ist er für den Bruchteil einer Sekunde enttäuscht,
nicht Sie zu sehen. Dieses leichte Ziehen in seinem Magen, dieses Kitzeln
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