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Aber Mutter weinet sehr: Psychothriller (German Edition)

Aber Mutter weinet sehr: Psychothriller (German Edition)

Titel: Aber Mutter weinet sehr: Psychothriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Brenner
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Fürbringers Leuten. Zu seinen Füßen lag das Bündel.
    Es war kaum noch als ein Mensch zu erkennen – so verkrümmt und aufgedunsen wie es war.
    Die beiden Männer hatten den Teich fast erreicht. Robert blieb stehen. Fürbringer ging einfach weiter und redete.
    Robert fasste sich mit beiden Händen an die Stirn. Marie glaubte, dass er schrie, aber sie hörte nichts.
    Dann rannte Robert zum Haus zurück. Jetzt drehte auch Fürbringer sich um. Als er Marie auf den Teich zukommen sah, schüttelte er heftig den Kopf und gab seinen Leuten Anweisungen.
    Die Feuerwehrleute wurden auf Marie aufmerksam. Einer ließ einen Schlauch fallen, die schwere Metallschelle klirrte auf dem Asphalt.
    Robert zitterte am ganzen Körper. Wie ein Aal. Er umarmte Marie. Marie war das unangenehm. Wegen des Zitterns und weil sie jetzt nicht umarmt werden wollte.
    Robert schluchzte. Er sagte Maries Namen.
    Sie machte sich los. Nicht nachdrücklich, sondern vorsichtig. Robert tat ihr leid. Aber er spielte gerade keine Rolle. Marie hatte etwas Wichtigeres zu tun. Ein Programm setzte in ihrem Kopf ein. Das Marie-Programm. In letzter Zeit war sie froh, dass sie über dieses Programm verfügte. Es gab ihr Halt, wenn ihre normalen Kräfte versagten.
    Marie ließ Robert einfach stehen. Sie ging weiter.
    Die Feuerwehrleute waren meist Jugendliche aus dem Ort, deren Eltern Marie gut kannte – sie sah in ihren Gesichtern Erschrecken und gleichzeitig eine wohlige Neugier.
    Fürbringer kam ihr entgegen. Er sagte etwas Ernstes, was Marie jedoch nicht verstand. Es interessierte sie nicht. Sie ging einfach weiter. Fürbringer hielt sie am Ärmel fest. Marie riss sich los. Ein weiterer Polizist in einem weißen Overall stellte sich ihr in den Weg. Doch als sie unbeirrt weiterging, machte er ihr Platz.
    Ihre Füße versanken im Schlick. Die Schritte wurden schwerer. Marie wunderte sich, wie warm der Schlick war. Warm und angenehm feucht. Man hätte darin ganz versinken können – versinken und alles hinter sich lassen, versinken in unendliche Tiefen, in die das Leid ihr nicht folgen konnte. Aber Marie war noch nicht so weit. Erst musste sie noch zu Johann. Erst musste sie noch ihr Kind sehen.
    Der Mann im weißen Overall wollte eine Plane über die Leiche decken. Doch ein Blick von Marie hieß ihn, damit zu warten. Marie bückte sich.
    Sie sah kein Gesicht. Nur den Hinterkopf. In die Nackenmuskeln hatten Maden kleine Kanäle gefressen. An einer Stelle war der Schädel bereits kahl. Die Haut war weiß und dennoch wie Leder. Die kleinen Hände waren geschwollen und ineinander verkrallt, wie ein geplatzter Fußball sahen sie aus.
    Marie wunderte sich schon wieder, wie gelassen sie war. Das machte das Programm. Erst wenn das Programm das Signal dazu gab, würde sie loslassen. Vorher tat sie alles das, was getan werden musste, mit kühler Zielstrebigkeit. Da war sie anders als Robert. Sie war eben die Mutter. Vielleicht machte das den Unterschied.
    Die Farben der Kleider hatten nicht gelitten. Die hellrote Jacke und die braune Cordhose sahen aus, als kämen sie gerade aus der Waschmaschine. Nur die Profilsohlenschuhe hatte das Wasser ausgewaschen. Sie gingen aus den Nähten, die Schnürsenkel hatten sich aufgelöst.
    Marie richtete sich auf. Sie trat den Rückzug an. Der Schlick reichte ihr schon bis über die Knöchel. Er lief in ihre halbhohen Schuhe.
    Als sie festen Boden betrat, schienen ihre Füße schwerer geworden zu sein. Es quietschte bei jedem Schritt. Das klang eigenartig.
    Fürbringer trat auf sie zu. »Tut mir leid«, sagte er leise. Es klang wie: Selber schuld, wenn Sie nicht hören.
    Marie konnte ihm das nicht ersparen: »Das ist nicht mein Junge.«
    »Was?!« Fürbringer schaute sich um, als könnte er die Blamage vor seinen Mitarbeitern noch irgendwie verbergen.
    »Die Kleider. Solche Kleider hat Johann nie getragen.«
    »Aber …«
    »Ich bin mir sicher: Das ist nicht Johann. Möglicherweise ist es der Sohn des Metzgers. Der ist vor einem halben Jahr verschwunden. Das ist auch sein Fahrrad. Ich glaube, er war etwas behindert. Sie haben damals den Teich nicht abgesucht.«
    Wie sich später herausstellte, handelte es sich bei der Leiche wirklich um Timo Scheib, den Sohn des Bubacher Metzgers. Er hatte eine leichte geistige Behinderung gehabt. Timo war mit dem Fahrrad in den Teich gefahren, beim Sturz ohnmächtig geworden und ertrunken. Da der Teich weit weg lag vom Wohnhaus der Eltern, war er nicht abgesucht worden. Timo Scheib war neun Jahre alt

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