Abgeferkelt: Roman (German Edition)
Prolog
D er Sarg hing schief. Jonas Larsen stand auf dem Hauptfriedhof und sah irritiert dabei zu, wie die sterblichen Überreste seines Verlegers in Schräglage über einem Erdloch baumelten. Der Sargträger hinten links, so schien es, hatte Angst vor Insekten. Jedenfalls schlug er panisch nach der kleinen Heidebiene vor seiner Nase, statt beide Hände an den Gurt zu legen, mit dem der Leichnam hinabgelassen werden sollte. Wind kam auf. Nicht viel, nur ein Lüftchen, doch es reichte aus, um die sorgsam über die Glatze des Mannes gekämmte Haarsträhne steil nach oben aufzurichten. Und dort wehte sie, während die Biene entschwebte und das Modell »Pietät kompakt« aus Eichenholz mit Glattwulst und Naturlasur endlich so waagrecht im Erdreich versank, wie sich das gehörte.
Jonas schob die Hände in die Jackentaschen und malte sich aus, wie Friedrich Amberg über diese kleine Panne geflucht hätte. Der verstorbene Verleger war ein Perfektionist gewesen, anspruchsvoll und ungnädig gegen sich und andere. Zu Lebzeiten hatte er sich so gründlich mit seinen Angehörigen überworfen, dass jetzt niemand am Grab stand, dem man hätte kondolieren können. Selbst Jonas fiel es schwer, sich im Guten an den Mann zurückzuerinnern, dem er eigentlich viel zu verdanken hatte: Als er vor zwei Jahren seinen Job als Ressortleiter einer großen Wirtschaftszeitung verlor, bot Amberg ihm unverzüglich den Posten als Chefredakteur in seiner Heimatstadt an.
»Du kennst unser Haus, seit du dein erstes Schülerpraktikum hier gemacht hast«, hatte er damals gesagt. »Komm zurück nach Grümmstein und lass meine Zeitung von dem profitieren, was du anderswo gelernt hast.«
Jonas konnte sich noch genau an die Vorbehalte erinnern, die ihm als Erstes in den Sinn kamen. »Sie haben die publizistische Linie hier in der Stadt jahrzehntelang vorgegeben, und die stimmt nicht mit meinen Vorstellungen überein«, hatte er eingewandt. »Meine Leitartikel würden Ihnen nicht gefallen.«
»Im Gegenteil, das, was ich von dir gelesen habe, gefällt mir sogar sehr. Ich bin zwar nicht in allem deiner Meinung, aber so ein bisschen frischer Wind täte meiner Zeitung zur Abwechslung mal ganz gut.«
»Das sagen Sie nur so lange, bis die ersten Anzeigenkunden ihre Aufträge zurückziehen, weil ihnen die Berichterstattung nicht mehr passt«, hatte Jonas erwidert, doch Friedrich Amberg hatte nur gelacht.
»Glaub mir, was die Anzeigenkunden angeht, hab ich einen langen Atem. Und abgesehen davon: Hast du nicht vier Kinder zu versorgen? An deiner Stelle würde ich nicht lange zögern und mein Angebot annehmen. Denn die Chance, eine Zeitung inhaltlich neu auszurichten, bekommt man nicht alle Tage.«
Und so hatte Jonas sich ködern lassen. Gegen seinen Instinkt, der ihn warnte, dass ein traditionell konservatives Haus wie der Amberg Verlag sich nicht über Nacht für liberale Werte öffnen würde. Und gegen den Willen seiner Frau, die sich bis zum Schluss weigerte, Hamburg zu verlassen und ihm und den Kindern in die Provinz zu folgen.
Inzwischen musste er sich eingestehen, dass seine anfänglichen Zweifel berechtigt gewesen waren: Die Widerstände gegen jede Form des kritischen Journalismus waren innerhalb des Verlages noch immer genauso groß wie in den politischen Zirkeln der Stadt. Seine Ehe bestand nur noch auf dem Papier. Und Friedrich Amberg war tot – gestorben an den Folgen einer Krebserkrankung, die er lange unterschätzt hatte. Was blieb, war ein Scherbenhaufen, der größer nicht sein konnte, und ein Verlag, in dem Jonas schon bald nicht mehr willkommen sein würde. Die Gerüchteküche brodelte seit Tagen: Angeblich hatte ein großes Medienhaus in Hamburg Interesse daran, sich die Grümmsteiner Zeitung einzuverleiben. Die Konsequenzen eines solchen Verkaufs waren offensichtlich: Zwei Chefredakteure würde sich der neue Inhaber nicht leisten, schon gar nicht, wenn der eine davon als unbequemer Querkopf galt.
Als die Trauergemeinde sich nun auflöste, bemerkte Jonas aus den Augenwinkeln, dass zwei Gestalten auf ihn zukamen: Oberbürgermeister Harald Martens, bekennender Konservativer und seit Jahren unangefochten an der Spitze der Stadt, sowie Dr. Cedric Buddington, Haus-Jurist und Leiter des Amberg Verlags.
»Wie sieht’s aus, Larsen?«, fragte Martens. »Kommen Sie mit zum Leichenschmaus?«
Jonas schüttelte den Kopf. »Ich fahre in die Redaktion zurück. Die Arbeit ruft, trotz allem.«
»Verständlich. Nun, die Nachricht vom Tod des alten
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