Abschied ist ein scharfes Schwert. Ein Mordsroman (German Edition)
eher an etwas sehr Scharfem gelegen, was durch die Luft geflogen war. Mann, dachte ich, da muss ich in Zukunft aufpassen. So etwas kann ins Auge gehen. Und in diesem Sinne beendete ich meine Aktion auf mehr chirurgische Weise. Das ging ja auch ganz gut, weil nicht mehr viele übrig waren. Die schoss ich mit den letzten Salven aus Opas Maschinenpistole von den Beinen. Und als ich sie da hatte, wo ich sie haben wollte, auf dem Boden, besorgte ich in aller Ruhe, aber mit der gebotenen Zügigkeit mit Opas Messer den Rest.
Gerne hätte ich mich ein wenig länger mit jedem Einzelnen beschäftigt, aber dafür blieb einfach keine Zeit. Vom ersten Schuss bis zum letzten Schnitt waren zwar keine fünf Minuten vergangen, wie ich, nicht ohne Stolz über eine so saubere und schnelle Aktion, mit Blick auf eine modische Damenuhr an einem schlaffen Handgelenk feststellte. Da und dort regte sich zwar noch jemand und stöhnte, aber das würde sich beim Hinausgehen erledigen. Ich wollte mein Glück nicht überstrapazieren. Einen Moment lang verharrte ich zwar noch, um diesem prägnanten Geräusch nachzulauschen, das mein Bajonett verursachte, als ich es aus dem Mann herauszog. Dann aber riss ich mich los, schulterte das Gewehr und steckte Messer und Maschinenpistole in den Gürtel, damit ich die Hände freihatte. Ich öffnete ein Fenster zum winzigen Hinterhof hinaus, von dem aus es nur ein Katzensprung zur Straße war, wo mein Auto parkte. Ich riss so viele Handgranaten, wie es mir in der kurzen Zeit möglich war, von den Halterungen an meiner Weste ab, so dass sie scharf waren, und warf sie zwischen all die Leiber in der Kneipe. Dann entfernte ich mich schweren Herzen vom Ort des Geschehens. Nur zu gerne hätte ich dem Spektakel zugesehen, dass ich da verursacht hatte. Oder zumindest später, wenn der Staub sich gelegt hat, einen Blick auf mein Werk geworfen. Aber dem war natürlich abzuraten, und so rannte ich, was meine Beine und meine Lunge hergaben. Ich war noch nicht bei meinem Auto angelangt, da ging der Mordsradau los. Beinahe wäre ich schwach geworden beim Klang der detonierenden Handgranaten. Aber letztlich siegte die Vernunft. Mir fiel nämlich siedend heiß ein, dass ich vergessen hatte, mich zu maskieren oder zumindest die Nummernschilder meines Autos unkenntlich zu machen. Dass ich mein ganzes Pulver schon verschossen hatte, schien mir in diesem Moment keine gute Idee gewesen zu sein. Glücklicherweise hatte die kleine Straße auf der Rückseite der Kneipe schon bessere Zeiten gesehen. Viel Leerstand. Wegen der unmittelbar anschließenden Bahngleise nur wenig Anwohner, und die wahrscheinlich halbtaub. Einige Kleinbetriebe, bei denen sonntags nicht gearbeitet wurde. Ein Hoch auf die Sonntagsruhe. Es war weit und breit keine Menschenseele zu sehen. Also warf ich mein Handwerkszeug auf den Beifahrersitz und fuhr unbehelligt in gemäßigtem Tempo vom Ort meiner ersten, letztlich doch erfolgreichen Lesung davon. Nicht nur der Erfolg ist mit den Tüchtigen, sondern auch das Glück.
Und ja, heute kann ich es sagen, schreiben und es ohne Einbußen so empfinden: Ich war glücklich. Auf meiner Fahrt zurück zu meiner Wohnung, dann in der Dusche, wo ich all das vergossene Blut abwusch und mit wachsendem Genuss die Geschehnisse Revue passieren ließ. BA-BA BA-BAA BAMM! Erst mein erbarmungsloses Wüten auf der Lesung. Dann zurück zu all den außerordentlichen Momenten meines Lebens, die mich mein schlechtes Gewissen bislang nicht hatte genießen lassen. Zurück zu meinen Mitbewohnern. Zur Unscheinbaren. Zu Carmen. Meinen Eltern und meiner kleinen Schwester. Was für ein Film in meinem Kopf! Abschied ist ein scharfes Schwert, oh ja, und jetzt endlich führe ich das Schwert mit gewissenloser Hand.
Nachbemerkung
Der Mann von Mutters Freundin Gerda erzählte, dass er es gewesen sei, der K.s verkohlte Leiche gefunden hatte. Direkt neben dem geborstenen Ofen. Richtig eingebacken in den Fußboden. Der hat in der Hitze richtige Blasen geworfen. Keiner glaubte ihm das.
Wahr an seiner Geschichte war jedenfalls, dass die Freiwillige Feuerwehr (»Dank dem neuen Spritzenwagen«, warf meine Mutter ein) schnell vor Ort gewesen war. Sie hatte aber nicht verhindern können, dass das Haus bis auf die Grundmauern abbrannte.
Vielleicht hätte das Haus (K. beim besten Willen nicht) gerettet werden können, wenn der Brand schneller bemerkt worden wäre. Durch den Nachbarn vielleicht. Doch der hatte den Brandgeruch zwar bemerkt, aber
Weitere Kostenlose Bücher