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023 - Das Kastell der Toten

023 - Das Kastell der Toten

Titel: 023 - Das Kastell der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca LaRoche
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Er durfte nicht den Kopf verlieren, nicht dem Grauen nachgeben, das wie mit schwarzen Wogen gegen den Wall seiner Selbstbeherrschung brandete. Bis hierher war ihm die Flucht geglückt. Er hatte die Orientierung verloren, wusste längst nicht mehr, wo er sich befand. Aber wenn er den Morgen abwartete, wenn es ihm gelang, einen Schlupfwinkel zu finden...
    Die Wolken trieben weiter.
    Für einen kurzen Moment wurde wieder die Mondsichel sichtbar, goss ihr silbriges Licht über die zerklüftete Berglandschaft — und im ungewissen Schein sah Jim die kleinen, huschenden Schatten.
    Die Angst in ihm schien förmlich zu explodieren.
    Er warf sich herum.
    Blindlings jagte er los, sprang über Steine, suchte dem Pfad zu folgen, den er zwischen den Grasbüscheln ausgemacht hatte. Tappen und Schaben war hinter ihm, ein leises vielstimmiges Fauchen mischte sich in das Singen des Windes. Wieder zogen Wolken vor den Mond. Jim rannte weiter, verzweifelt und atemlos. Angst peitschte ihn vorwärts. Er stolperte, fing sich wieder, hetzte weiter und prallte schließlich hart gegen eine scharfe Felsenkante.
    Sein Kopf flog herum.
    Er sah die Schatten nicht, konnte nichts erkennen — aber er hörte die Geräusche. Irgendetwas zuckte schräg von der Seite auf ihn zu. Heißer Atem streifte ihn, in letzter Sekunde wich er aus, und das dunkle Etwas landete rechts von ihm zwischen Geröllbrocken.
    Tief in Jims Innerem schien eine Schranke zu zerbrechen.
    Wie eine Lawine riss ihn die Panik mit sich. Mit verzweifelter Kraft stieß er sich von dem Felsen ab, schlug einen Haken, lief weiter. Er sah nicht mehr, wohin er rannte. Dunkelheit hüllte ihn ein. Dunkelheit und die drohende, unentrinnbare Gegenwart der Verfolger. Halb wahnsinnig vor Entsetzen jagte er dahin, längst außerhalb des spärlichen Grasbewuchses der Hochfläche, stolperte über Steine und Geröll, stürzte, riss sich wieder hoch und floh in namenlosem, jede Vernunft hinwegspülendem Grauen.
    Nur für Sekunden kam der Mond hinter den Wolken hervor.
    Sekunden, in denen Jim Connery viel zu spät den tödlichen Abgrund sah.
    Er trat ins Leere.
    Für eine winzige, unmessbare Zeitspanne schien er in der Luft zu hängen, erstarrt und atemlos. Glasklar sah er die schwindelnde Tiefe. Er fühlte sich fallen. Schneller, schneller. Er fühlte die Gewalt einer Angst, die nicht mehr wachsen konnte, und die Eiseskälte der Gewissheit. Ganz zuletzt fühlte er die Empfindung des Loslassens, des Schwebens und Gelöstseins in schwindelnder Euphorie.
    Jim Connerys Todessturz dauerte eine Ewigkeit, die nicht mit menschlichem Maß zu messen war...
    ***
    Von der Straße aus wirkte das Dorf wie ein Adlernest, das hoch oben in den Felsen klebte.
    Dave Connery hielt für einen Moment seinen Wagen an und kniff die Augen zusammen. Die Sonnenbrille milderte kaum die gleißende Helligkeit, die von den weißen Häusern und den verkarsteten Felsen zurückstrahlte. Die Luft schien zu kochen. In der flimmernden Hitze verschwammen die Konturen, und als Dave den Kopf hob, hatte er sekundenlang das Gefühl, dass die Sonne über ihm auseinanderfloss wie schmelzendes Metall und den ganzen Himmel mit ihrer Weißglut erfüllte.
    Der junge Amerikaner griff zu dem Taschentuch auf dem Beifahrersitz und wischte sich zum wiederholten Mal den Schweiß von der Stirn. Es nützte nicht viel. Seit zwei Stunden fühlte er sich in dem großen Wagen wie in einer Sauna, sein Hemd war völlig durchgeschwitzt und klebte an Rücken und Brust. Dave gab wieder Gas, um wenigstens die Kühlung des Fahrtwindes zu spüren. Er wusste, dass er auf dem richtigen Weg war. In diesem abgelegenen, gottverlassenen Teil der Abruzzen gab es außer Cala Correggio keine weitere menschliche Ansiedlung in der Nähe — und es war dieses Dorf, in dem Jim seine letzte Ansichtskarte aufgegeben hatte.
    Dave presste die Lippen zusammen, als er an seinen Bruder dachte.
    Wann hatte er ihn zum letzten Mal gesehen? Fast ein Jahr war es her. Deutlich konnte er sich an den Abschied auf dem John F. Kennedy Airport in New York erinnern. Jim hatte die Maschine nach Rom genommen, um von dort aus einen ausgedehnten Europatrip zu starten. Sechs Wochen lang hatte er in regelmäßigen Abständen Grüße aus Italien geschickt — und dann, von einem Tag auf den anderen, hüllte er sich in Schweigen, das sich niemand erklären konnte.
    Seine letzte Ansichtskarte lag im Handschuhfach des Chevrolets. Eine Weitwinkelaufnahme von den Abruzzen — nicht von dem Dorf da oben in den

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