Abschied von der Küchenpsychologie
spürt, wird sich vielleicht an Experten wenden, aber sicherlich nur in besonderen Fällen und nicht bei «kleinen» psychologischen Problemen des alltäglichen Lebens.
Der Mittelweg, den dieses Buch fördern möchte, liegt zwischen Oberflächlichkeit und Expertentum. Er lautet: Problembewusst die eigenen Urteile und Entscheidungen prüfen und begründen und darüber hinaus erkennen, wo man an seine Grenzen stößt und sich fachlich informieren sollte.
Typische Denkfehler in der Alltagspsychologie
Es schärft das Problembewusstsein, wenn man einige «Fehler» kennt, die im alltagspsychologischen Denken häufig vorkommen. Die folgenden gehören ganz gewiss dazu:
( 1 ) Man schaut auf
gut
sichtbare
oder
leicht feststellbare
Merkmale und hängt an diese eine psychologische «Theorie» oder ein Stereotyp an. Kenne ich das Geschlecht oder die Entwicklungsphase («Pubertät»!) oder den Platz in der Geschwisterreihe («Sandwich-Kind» etc.) oder ein Familienmerkmal («alleinerziehend», «berufstätige Eltern») oder das Sternzeichen, dann weiß ich auch gleich etwas über die Eigenschaften, Fähigkeiten und Defizite dieses Menschen. Das ist eine sehr ökonomische, aber auch sehr oberflächliche Denkweise.
Wenn z.B. ein Schulbuch unter der Überschrift «Mädchen lernen anders» große Unterschiede zwischen weiblichen und männlichen Gehirnen betont und hieraus auch Lernstörungen von Jungen oder Mädchen erklärt, so wird dabei ausgeblendet, dass Lernstörungen primär
individuelle
Probleme sind, die vielfältige Gründe haben können. Stereotype dieser Art können zwar ein Körnchen Wahrheit enthalten, aber sie erklären nur wenig und sind natürlich niemals ein Ersatz für eine Einzelfallanalyse (s. auch Kapitel 9.1 zu Geschlechterdifferenzen, Kapitel 12.3 zu Lernstörungen).
( 2 )
Monokausale Erklärungen
sind eine weitere ökonomische Tendenz. Man erklärt ein Problem beispielsweise aus dem Wertezerfall in der Gesellschaft, aus der Einstellung eines Menschen, aus dem Fernsehkonsum, aus der Klassengröße usw. In der wissenschaftlichen Psychologie ist es hingegen normal, «multifaktoriell» zu denken, weil menschliches Verhalten immer auf dem Zusammenspiel verschiedener Faktoren beruht. Weder eine Lernstörung noch aggressives Verhalten oder hilfreiches Verhalten kann durch eine Einzelbedingung hervorgebracht werden. Da kein Faktor für sich alleine steht, kann er auch nie einen absoluten, sondern nur einen relativen Einfluss haben. Dass z.B. eine Provokation aggressives Verhalten bewirkt, ist nicht so sicher wie ein physikalisches Gesetz.
( 3 ) Die
Überbewertung von Einzelfällen
: Nehmen wir an, Sie wollen sich ein Auto kaufen und lesen eine Pannenstatistik, in welcher der Wusel 800 besonders gut abschneidet. Sie selber aber hatten bislang mit einem Wusel 800 «nichts als Ärger». Was beeinflusst nun Ihre Kaufentscheidung mehr: die Statistik oder Ihre eigene Erfahrung?
Ebenso mag jemand die Ergebnisse einer psychologischen Studie mit der Begründung in Frage stellen: «Das widerspricht meiner persönlichen Erfahrung.» Eine abweichende Erfahrung ist durchaus denkbar, weil ein Einzelfall stark von Faktoren bestimmt sein kann, die in einer größeren Forschungsstichprobe und damit im Normalfall kaum zur Geltung kommen. Bei menschlichem Verhalten spielen ja, wie gesagt, immer mehrere Faktoren mit. Empirische Zusammenhänge können daher immer nur statistische Trends sein, also Wahrscheinlichkeitsaussagen. Wird z.B. an einer großen Stichprobe quer durch die Bevölkerung ermittelt, dass insgesamt gesehen der Konsum von TV -Gewalt die individuelle Gewaltneigung begünstigt, so muss dies nicht für
alle
Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen gelten, denn die meisten sind hinreichend kritikfähig, lehnen Gewalt ab und betrachten Krimis als reine Unterhaltung. Das widerlegt aber den statistischen Gesamttrend so wenig, wie eine persönliche Einkaufserfahrung eine Statistik zur Preisentwicklung widerlegen kann.
( 4 )
Man verwechselt Zusammenhänge mit Verursachungen
. Unter der Überschrift «Lametta für die Liebe» berichtete ein Nachrichtenmagazin über eine Studie, nach der Paare, die gemeinsam den Weihnachtsbaum schmücken, in ihrer Ehe glücklicher sind als Paare, die nicht gemeinsam schmücken. Die Überschrift suggeriert: Das gemeinsame Schmücken
fördert
eine gute Beziehung. Doch kann man das aus dem beschriebenen Zusammenhang tatsächlich schließen? Natürlich nicht. Es kann ja genau umgekehrt sein:
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