Absolute Power (Der Präsident)
an, einigen Leuten im Gericht heftig auf die Zehen zu steigen.
Bald entdeckte Jack, daß er ein Naturtalent für diese Rolle war, daß er für Kreuzverhöre genauso viel Begabung mitbrachte wie damals, als er viel größere Männer über eine fünf Zentimeter dicke Matte wirbelte. Er fühlte sich in die HighSchool-Zeit zurückversetzt, war wieder allen überlegen, sogar den erfahrensten Staatsanwälten. Die Richter wurden auf ihn aufmerksam. Sie brachten ihm, einem Anwalt, Respekt und Sympathie entgegen, das mußte man sich mal vorstellen!
Dann hatte er bei einem Empfang der Anwaltskammer Jennifer getroffen. Sie war Stellvertretende Leiterin für Entwicklung und Marketing bei Baldwin Enterprises. Unschwer war zu erkennen, daß sie ihre Sache hervorragend machte. Neben ihrer dynamischen Erscheinung besaß sie die Gabe, jedem, mit dem sie sprach, das Gefühl zu vermitteln, daß seine Meinung wichtig sei, auch wenn sie sich ihr nicht unbedingt anschloß. Kurz, sie war eine Schönheit, die sich nicht ausschließlich auf dieses Attribut verlassen mußte.
Unter dem aufsehenerregenden Äußeren lag noch mehr verborgen. Zumindest schien es so. Jack wäre kein Mann gewesen, hätte er sich nicht von ihr angezogen gefühlt. Und sie hatte bereits sehr bald deutlich zu erkennen gegeben, daß diese Anziehung auf Gegenseitigkeit beruhte. Dabei zeigte sie sich zunächst beeindruckt von dem Idealismus, den er für die Benachteiligten der Gesellschaft aufbrachte, die in der Bundeshauptstadt eines Verbrechens angeklagt wurden; doch Schritt für Schritt hatte sie ihn davon überzeugt, daß er seinen Teil für die Armen, die Dummen und die Pechvögel geleistet hatte und vielleicht anfangen sollte, sich um sich selbst und die eigene Zukunft zu kümmern, und daß sie vielleicht Teil dieser Zukunft sein könnte. Als Jack schließlich als Pflichtverteidiger zurücktrat, gab das Büro der Staatsanwaltschaft ihm zu Ehren eine Abschiedsfeier mit allem Drum und Dran, ein deutliches Zeichen dafür, daß man froh war, ihn loszuwerden. Das allein hätte ihm damals zeigen müssen, daß es noch eine Menge Armer, Dummer und Pechvögel gab, die seine Hilfe benötigten. Er erwartete nicht, daß sich das erregende Gefühl, das er als Pflichtverteidiger empfunden hatte, noch steigern ließ; solche Abschnitte gab es wohl nur einmal im Leben, danach nie wieder. Aber man konnte nicht immer auf der Stelle treten. Sogar kleine Jungs wie Jack Graham mußten eines Tages erwachsen werden. Vielleicht war die Zeit wirklich reif.
Er schaltete den Fernseher aus, griff sich eine Tüte Chips und trottete ins Schlafzimmer. Dabei mußte er über einen Haufen schmutziger Wäsche hinwegsteigen, der vor der Tür lag. Daß sie seine Wohnung nicht mochte, konnte er Jennifer nicht verübeln. Er war nun mal ein Chaot. Was ihn aber störte, war die Gewißheit, daß Jennifer auch dann nicht hier wohnen würde, wenn alles blitzsauber wäre. Ein Grund dafür war die Gegend. Natürlich lag die Wohnung in Capitol Hill, aber nicht im kultivierten Teil davon, weit gefehlt.
Dann war da noch die Größe. Ihre Wohnung mußte knapp fünfhundert Quadratmeter groß sein, ohne dabei die Dienstunterkünfte für die Hausmädchen und die Doppelgarage zu berücksichtigen, in der ihr Jaguar und ihr brandneuer Range Rover untergebracht waren. Als ob man in den verkehrsüberlasteten Straßen von Washington, D. C., ein Auto brauchte, das in gerader Linie einen Sechstausender erklimmen konnte!
Jacks Wohnung verfügte über vier Zimmer, wenn man das Badezimmer mitzählte. Er betrat das Schlafzimmer, zog sich aus und ließ sich ins Bett fallen. An der gegenüberliegenden Wand hing eine kleine Plakette, die seinen Eintritt bei Patton, Shaw & Lord verkündete. Sie hatte zuvor in seinem Büro gehangen, bis es ihm zu beschämend geworden war, sie anzusehen. PS&L war in der Bundeshauptstadt die Nummer eins unter den Anwaltskanzleien für Körperschaftsrecht. Die Gesellschaft betreute Hunderte von Firmen besten Rufes, einschließlich der seines künftigen Schwiegervaters, die für das Unternehmen ein Honorarvolumen von mehreren Millionen bedeutete. Es war Jack zu verdanken, daß der Baldwin-Konzern nun bei PS&L war, und als Gegenleistung winkte ihm bei der nächsten Gehaltsüberprüfung die Teilhaberschaft. Die Teilhaberschaft bei Patton, Shaw & Lord war durchschnittlich mindestens eine halbe Million Dollar pro Jahr wert. Für die Baldwins war das ein Trinkgeld, aber schließlich war er kein Baldwin.
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