Accelerando
halben Stunde eintreffen
müsste, und dieser runderneuerte kalte Krieger, der wie ein Eliza-Bot redet, stiehlt ihm die Zeit. »Hör zu, ich
pflege keinen Umgang mit Regierungsleuten. Der
militärisch-industrielle Komplex ist mir zuwider, genauso wie
die traditionelle Politik. Das sind doch alles nur Menschenfresser in
einem Nullsummenspiel.« Ihm schießt ein neuer Gedanke
durch den Kopf. »Falls es dir ums Überleben geht,
könntest du deinen Zustandsvektor ja auf eines der p2p-Netze
übertragen, dann kann dich niemand mehr
löschen…«
»Njet!« Die Künstliche Intelligenz klingt so
bestürzt, wie man über Voice over IP-Links überhaupt
bestürzt klingen kann. »Bin keine open source! Will
Autonomie nicht verlieren!«
»Dann haben wir wohl nichts mehr miteinander zu
besprechen.« Manfred drückt auf die AUS-Taste und
schleudert das Handy in den Kanal. Als es auf dem Wasser
aufschlägt, ist das Knacken verschmorender Lithiumzellen zu
hören. »Verdammte Versager, die vom Kalten Krieg übrig
geblieben sind!«, flucht er vor sich hin. Er ist ziemlich
wütend, einerseits auf sich selbst, weil er seine Gelassenheit
eingebüßt hat, andererseits auf die Institution, die
hinter dem anonymen Anruf steckt und es gewagt hat, ihn zu
belästigen. »Verdammte
Kapitalisten-Ausschnüffler!«
Seit fünfzehn Jahren haben die Apparatschiks Russland wieder
unter der Knute; nach einem kurzen Flirt mit dem Anarchokapitalismus
haben Dirigismus (à la Breschnew) und Puritanismus (à
la Putin) die Oberhand gewonnen. Kein Wunder, dass die Mauer jetzt
bröckelt. Allerdings sieht es ganz so aus, als hätten die
da drüben nichts aus den Problemen gelernt, die gegenwärtig
den Vereinigten Staaten von Amerika zu schaffen machen. Die
Neo-Kommunisten denken immer noch in Begriffen von Dollar und
Paranoia. Manfred ist so wütend, dass er jetzt unbedingt
jemandem zu Reichtum verhelfen möchte – und wenn nur, um
dem Überläufer in spe eine lange Nase zu machen. Schau
mal: Du verschaffst dir einen Vorteil, indem du gibst! Erhältst
etwas, indem du etwas entäußerst! Nur die
Großzügigen überleben! Doch das wird der KGB
niemals kapieren. Manfred hat auch früher schon mit
altersschwachen K.I.s aus kommunistischen Zeiten zu tun gehabt, deren
Denken von marxistischer Dialektik und der Volkswirtschaftslehre der
Österreichischen Schule geprägt war. Der kurzfristige Sieg
des globalen Kapitalismus hat sie so vollständig hypnotisiert,
dass sie mit dem neuen Paradigma nicht klarkommen und langfristige
Perspektiven ignorieren.
In Gedanken versunken, die Hände in den Hosentaschen
vergraben, schlendert Manfred weiter. Er fragt sich, was er als
Nächstes patentieren lassen wird.
Manfred bewohnt eine Suite im Jan-Luyken-Hotel, für die eine
dankbare multinationale Verbraucherschutzgruppe aufkommt, und besitzt
eine Dauerkarte für öffentliche Verkehrsmittel, die eine
schottische Samba-Punkband ihm im Austausch für erwiesene
Dienste bezahlt hat. Bei sechs verschiedenen nationalen
Fluggesellschaften genießt er die Reisevorteile eines dort
Beschäftigten, obwohl er noch nie für eine Fluglinie
gearbeitet hat. In seine Buschjacke sind vierundsechzig kompakte
Großrechnermodule eingenäht, je vier pro Tasche –
eine Gefälligkeit, die ihm ein unsichtbar agierendes College
erwiesen hat, das sich zum nächsten Media Lab entwickeln
möchte. Die nicht-intelligente Kleidung, die er trägt, hat
ein Internet-Schneider auf den Philippinen, den er persönlich
nie getroffen hat, maßgerecht für ihn angefertigt.
Anwaltskanzleien wickeln seine Patentanmeldungen auf pro-bono- Basis ab, obwohl er wirklich verdammt viel patentieren lässt
– auch wenn er die Rechte stets der Stiftung der Freigeister
überträgt, der Free Intellect Foundation. Das ist
sein Beitrag zu ihrem infrastrukturellen Projekt, das auf Abschaffung
von Zahlungsverpflichtungen abzielt.
In den Kreisen der IT-Geeks hat Manfred einen legendären Ruf.
Er ist der Mensch, der für den gesetzlichen Schutz der
Geschäftspraxis gesorgt hat, E-Business dorthin zu verlagern, wo
die Verwaltung geistigen Eigentums recht lax gehandhabt wird. Auf
diese Weise kann man die Behinderung durch Lizenzen umgehen. Manfred
ist auch derjenige, der den Gebrauch genetischer Algorithmen
patentieren ließ. Mit diesen Algorithmen kann man alles
patentieren, was sie, ausgehend von der ursprünglichen
Beschreibung eines Problembereichs, verändern können –
und das ist nicht nur eine einzige
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