Ach du lieber Schwesternschreck!
Hilfe, ich muss aufräumen. In einer Viertelstunde muss alles erledigt sein, nicht nur, weil Mama sicher kommt und guckt, sondern auch, weil ich noch Hausaufgaben machen muss (heute in Schnellform) und dann zu Flo will, um ihm bei seinen Vorbereitungen zum ersten Viola-Treffen zu helfen. Das tut man so für einen Freund.
Wohin stelle ich mein Liebesheft? Neben das Kussheft und Erfinderheft und Einschlafheft.
Jetzt aber die Hausaufgaben. Schnellform.
Einen Hausaufgabenclub sollte man übrigens auch gründen. Zusammen mit der Gedankenübertragungsmaschine wäre das super. Wo man Erfahrungen austauscht und dann über Fragen nachdenkt. Solche zum Beispiel:
1. Wie mache ich Hausaufgaben am schnellsten?
2. Wann und wie behalte ich was am besten?
3. In welcher Reihenfolge muss ich Hausaufgaben machen? Gibt es da Unterschiede? (Einen Unterschied habe ich schon festgestellt: Wenn ich zwei Sachen auswendig lerne, darf ich das nicht direkt hintereinander. Dann behalte ich das Erste nicht so gut. Flos Mutter hat da Ahnung. Die hat mir das erklärt. Es gibt ein Kurzzeitgedächtnis, hat sie gesagt. Das ist wie ein kleiner Flur, der zum richtigen Gedächtnis führt. Wenn man etwas gelernt hat, kommt es also in diesen Flur. Und während man etwas anderes macht, zum Beispiel Matheaufgaben lösen, während dieser Zeit sickert das Gelernte langsam vom Flur ins Gedächtnis und der Flur wird langsam wieder leer und frei für etwas Neues. Gut, dass Flos Mutter mir das erklärt hat. Ich finde es nämlich besser, wenn man weiß, was man macht.)
Aber jetzt muss ich anfangen.
Schnellform bei Hausaufgaben bedeutet: Alles in Windeseile runterschreiben. Nur an den Stellen nachdenken, wo es wirklich erforderlich ist. Aufsätze in Kurzform bringen. Vokabeln dreimal laut nachsprechen und dabei wirklich dran denken. Schon sind sie im Hirn! Hefte zu. Eben alles überdenken. Tasche zu. Fertig.
Schnellform mache ich viermal in der Woche, einmal mache ich ein bisschen langsamer und übe dabei. Viermal Schnellform trainiert und tut gut. Meinem Kopf und meiner Zeit!
Jetzt muss ich zu Flo. Möglichst unauffällig aus dem Haus schleichen, denn manchmal kommt Mama auf die Idee, sich meine Haus-aufgaben-Schnellform genauer anzusehen. Und dann ist sie kaputt, die Schnellform. Und ich muss wirklich weg.
Ich renne den ganzen Weg zu Flo. Er ist im Badezimmer. Das ist ein schlechtes Zeichen.
Als ich sein Zimmer betrete, bekomme ich eine Ahnung davon, was los ist. Seine ganze Kleidung liegt vor dem Schrank auf dem Fußboden.
»Ich habe nichts anzuziehen!«, murmelt er, als er aus dem Badezimmer kommt.
Ach du lieber Schwesternschreck! Flos Haare sehen grauenhaft aus: Wachs? Gel? Schaum? Oder etwa alles auf einmal?
»Die Jeans passt mir nicht mehr«, jammert Flo, »die Haare stehen nicht, der Pullover ist verwaschen...« Flo ist den Tränen nahe.
Zuerst müssen die Haare in Ordnung gebracht werden. Wir verbarrikadieren uns im Bad.
Nach fünf Minuten klopft Flos kleine Schwester Anna. »Ich muss ganz nötig.«
»Geh nach unten!«
»Will ich aber nicht!«
»Es geht aber jetzt hier nicht!«
Schließlich schreit Anna so laut, dass ich mich erbarme, während Freund Flo mit nassen Haaren über dem Waschbecken hängt. Wir haben noch exakt 45 Minuten. Anna schreit, Anna nervt total. Aber wenn Anna so laut schreit, dass seine Mama kommt, dann muss Flo mit absoluter Sicherheit noch sein Zimmer aufräumen. Und das schafft selbst ein echter Verliebter nicht mehr. Auch nicht, wenn ihm sein Kumpel dabei hilft.
Ich nehme Anna an die Hand. Anna strahlt mich an. Anna ist drei Jahre alt, fast wie Kitty. Solche Fruchtzwerge mag ich ja. Wir gehen zur Gästetoilette. Anna setzt sich seelenruhig drauf.
»Jetzt pielen«, strahlt sie dann.
Hilfe, was mache ich jetzt? Blitzschnell durchkreuzen verschiedenste Gedanken mein Hirn.
»Morgen, Anna«, sag ich. Morgen hab ich nämlich Mama versprochen, auf Kitty aufzupassen. Einmal pro Woche ist Kitty-Nachmittag und Mama hat frei. Und dann kann ich mit Kitty kommen, die beiden spielen und ich kann mit Flo zusammen sein. Der Trick ist gut.
Anna strahlt. Die Kleinen sind schon lieb und schnuckelig. Und eigentlich freue ich mich auf morgen.
»Noch einmal schlafen«, sag ich zu Anna. Das sagt man so bei kleinen Kindern, wenn etwas einen Tag später ist.
Anna dampft ab. Sie würde am liebsten sofort anfangen zu schlafen.
Jetzt muss ich aber zu Flo. Hoffentlich hat der nicht wieder eine neue Paste in seine Haare
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