Achilles' Verse - mein Leben als Laeufer
auf dem Stepper eine Viertelstunde lang Stufen, duschen und fahren mit dem Aufzug wieder hinab.
Ein Xco-Handschuh tippt mir auf die Schulter. Monas Kurs ist vorbei, ihre in unauffälligem Kirschrot geglosste Lippen kaum in Mitleidenschaft gezogen. 42 Minuten, 6,1 Kilometer, meldet mein Display. Gab schon schlechtere Trainingstage. Jetzt erstmal Sauna. Zur Belohnung einen EiweiÃ-Shake mit Grüntee-Guarana-Extrakt. Dann mit dem Fahrstuhl nach unten. Und morgen endlich wieder drauÃen laufen.
Am laufenden Band
Im Winter bieten sich dem Läufer phantastische Ausreden, um sich vor dem Training zu drücken: zu kalt, zu dunkel, zu glatt.
Ein Fitnessstudio ist genau das Gegenteil: zu warm, zu hell und exzellente Bodenhaftung nach allen TÃV-Normen des Planeten.
Natürlich ist es für den naturliebenden Ausdauersportler eine Zumutung, zwischen steppenden Hausfrauen und muskelschweren Gorillas seinen Ãbungseinheiten nachzugehen. Aber schaden kann es auch nicht. Mit ein paar Hörbüchern auf dem MP3-Player kann man sich von der Umwelt abschotten. Sinnvoll ist es, auf dem Laufband eine nicht zu knappe Steigung einzustellen. Denn die federnde Gummimatte, die da unter den FüÃen läuft, verleitet dazu, die eigene Leistung völlig zu überschätzen. Die Tempoangaben der Maschine sind allemal zu groÃzügig bemessen und in der freien Wildbahn nicht wiederholbar. Ob sich eine Mitgliedschaft für das Winterhalbjahr lohnt, muss jeder Läufer selbst entscheiden. Zur Not tutâs auch ein Mc-Studio, wo sich der lasche Mittelbau des Läufers an den Kraftmaschinen stärken lässt.
Dr. Matthias Marquardt empfiehlt Trainingseinheiten mit Freihanteln und auf der Gymnastikmatte sowie an den Kraftgeräten, wo besonders die GesäÃmuskeln â ein Schwachpunkt bei Läufern  â trainiert werden sollten.
Schlimm ist es, von magersüchtigen Extremathleten ohne erkennbares Gesäà überholt zu werden, findet Achim Achilles. Er kennt auch die wahren Helden des Sports: Menschen, bei denen die Gelenke unter zeltartigen Beinkleidern knacken.
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Auf jedem Konto Miese, nur bei den Kalorien ende ich wieder im Plus. Also gut: Das sonntägliche Mittagessen knicken, das Nickerchen auch, stattdessen raus ins Schneegestöber. Statt Glückshormonen ununterbrochen den Doofmann-Song »Alleinallein« im Ohr. Egalegal.
75 Minuten müssen es sein, um das Konto zu nullen, habe ich errechnet. Also freiwillig die groÃe Runde durchs graue Industriegebiet ziehen. Alleinallein hat immerhin einen Vorteil, wenn die Schneeflocken ins Gesicht donnern: Ich bin ziemlich schnell, gefühlt jedenfalls. Kurz vorm Fliegen. Nur meiner Schwere ist zu verdanken, dass ich nicht gleich abhebe.
Plötzlich rhythmisches Hecheln im Nacken. Klingt eher nach Sport als nach Hund. Lieber nicht umdrehen, keine Schwäche zeigen. Ich bin nicht mehr alleinallein, sondern auf der Flucht. Aber nicht lange. Der Sportskamerad zieht vorbei, grüÃt ekelhaft freundlich und rennt einfach locker weg. Natürlich könnte ich dran bleiben. Ich will aber nicht. Denn kaum hänge ich an seinen Hacken, wird er aufdrehen. Ich darf mir also aussuchen, ob ich jetzt oder gleich
gedemütigt werde. Ich leide. Deklassiert ausgerechnet von diesem Wichtel, mindestens zehn Jahre älter, dafür zehn Kilo leichter. Bestimmt magersüchtig. Das Textil schlabbert um seine knochige Kehrseite. Keinen Hintern in der Hose, würde Mona sagen. Dafür leider schnell. Po oder Contra, das ist die Frage.
Leider beweist das laufende Skelett die alte Regel: Ein Kilogramm weniger macht ein knappes Prozent schneller. Bei 45 Minuten auf zehn Kilometer bedeuten runtergehungerte drei Kilo eine um zwei Minuten bessere Zeit, ganz ohne Training. Man kann sich Bestzeiten erhungern. Die ideale Strategie für die Wirtschaftskrise. Selbst Reiner Calmund hat 30 Kilo abgeworfen, als das Untier Joey Kelly ihn trainiert hat. Man siehtâs zwar nicht, aber die gesamtgesellschaftliche Symbolik ist klar: Schluss mit Wohlstandswampe; wir müssen den Gürtel enger schnallen.
Walross Calli hat allerdings den Vorteil, dass er mit 150 Kilo Lebendgewicht schon im Alltag doppelt so viele Kalorien verbraucht wie ein Normalgewichtiger. Die Masse will halt bewegt werden. Muss der wulstige Leib allerdings auch nur annähernd auf Lauftempo beschleunigt werden, stoÃen Physik und Ãsthetik schnell an Grenzen.
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