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Achilles' Verse - mein Leben als Laeufer

Achilles' Verse - mein Leben als Laeufer

Titel: Achilles' Verse - mein Leben als Laeufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Achim Achilles
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inzwischen Feintuning an. Der moderne Läufer eilt zur Generalüberholung. Das Show-Laufen auf dem Band gehört dazu.
    Â 
    Heute ist der Tag der Wahrheit. Showdown. Keine Ausreden. Leistungsdiagnostik mit Laktatmessung. Mann oder Maus. Ich habe Angst vor der Wahrheit. Deswegen bin ich entgegen meines gewohnten blutdruckbedingten Tiefschlafs, der sonst bis zum frühen Mittag reichen kann, heute schon um halb sechs aufgewacht. Mona sägt süß vor sich hin. Manchmal stößt sie kleine Grunzer aus, so als freue sie sich insgeheim über mein Schicksal. Sie will, dass ich Werte habe wie Al Bundy. Damit sie sagen kann: »So fit werde ich mit Xco auch.«
    Ich werde den Test absagen. Irgendwas im hinteren oberen Knie ist nicht okay: ein Aduktorenanriss vielleicht. Außerdem spüre ich einen Druck auf dem Brustkorb. Man solle auf gar keinen Fall zum Test kommen, wenn man sich nicht fit fühle, hatten sie in der Charité gesagt. Ich fühle mich nicht fit. Aber Mona will, dass ich mich checken lasse; die Pumpe. Schon gut, schon gut: Ich geh ja schon.
    Unter »Charité« stellt man sich ein ehrwürdiges backsteinernes
Gebäude vor, mit Efeu draußen und modernster Technik drinnen. Hier ist es nicht mal umgekehrt. Die Sportmedizin liegt in einer Brachialplatte in Lankwitz – könnte auch als Außenbezirk von Bukarest durchgehen. Zur Sportmedizin kurvt man durch Heerscharen siecher Zeitgenossen. Manche sitzen ohne Beine im Rollstuhl am Eingang und rauchen tapfer weiter, als wollten sie auch noch die Arme verlieren. Andere tragen Mundschutz, einfach so. Ich muss husten. Geht schon los. Wie soll man sich hier fit fühlen?
    Im vierten Stock residiert Fernando Dimeo. Er war 1993 Deutscher Ärztemeister im Marathon. Der Doktor ist aus Argentinien und hat in etwa das Stockmaß von Diego Maradona, vom Umfang her allerdings höchstens ein Viertel. Ein Mann wie ein Vorwurf: Er wiegt höchstens 50 Kilogramm, die perfekte Renngräte. Ich bin etwa zwei Dimeos, aber nur halb so schnell. Das Läuferleben ist ungerecht.
    Die Umkleidekabine ist so groß wie ein Dixi-Klo, dafür steht eine Wanne zum Leichensezieren im Patientenbad. Der Doktor trägt supercoole Adidas-Treter, Rapper-Ware, die sie ihm in Neukölln in 20 Sekunden vom Fuß gezogen hätten. Dimeo sagt poetische Sätze, wie sie Guru Greif nie schreiben könnte: »Training für Marathone isse ganze einfach: viele lange Läufe auffe dere Straße unde nichte so snelle. Marathone iste wie die Ssuppe. Besteht ssu über 90 Prozente aus Wassser. Lange Läufe sinde das Wassser in der Ssuppe. Der Reste iste nichte so wichtig, nure Wasser. Zu wenige Wassser, dann bekommen wir Gulasche oder Eintopfe.«
    Ich soll mich obenrum freimachen. »Nichte dene Bauche einziehen«, befiehlt der Doktor. Welchen Bauch denn? Ich habe schon vier Kilogramm abgenommen. »Ihre Rückenmuskeln sinde verkürzte«, diagnostiziert Dimeo, »unde die Bauchemuskeln zu schwache.« Na danke. Werfe ich dem Weißkittel 110 Euro in den Rachen, damit er mich mentalmäßig fertig macht? »Isse nichte so schlimme«, sagt er, »da haben wir eine Gymnastikprogramme.« Der Doktor kennt meine verborgensten Dehnsüchte.

    Endlich aufs Laufband. Wie früher bei Rudi Carrell. Ich bin das Fragezeichen. Was mag von mir übrig bleiben? Die aparte Assistentin nestelt gekonnt an meinem Ohr herum. Sie will Blut, mit möglichst viel Laktat. Dann zurrt sie mir eine Gummimaske über den Kopf. Legt mir einen Brustgurt an. Fesselt mich mit einem Bauchriemen. Hilfe! Fehlt nur noch, dass sie mir eine Dieter-Baumann-Maske überstreift. Und ein Kenia-Trikot aus schwarzem Latex. Und dann fallen sie über mich her.
    Â»Die ersten drei Minuten acht Stundenkilometer«, sagt die sachliche Assistentin, »ist das okay?« Natürlich ist das okay, Kleines. Ich bin doch kein gottverdammter Walker. Ich laufe rhythmisch, mein Atem geht ruhig, jede Zahl auf dem Computer signalisiert Kraft, Anmut und Ausdauer. Kurze Pause, das Laktat-Luder piekt ins Ohr, dann zehn Stundenkilometer. Ich federe. Pause. Pieken. 12 Stundenkilometer. Es geht gut los. Aber nach einer Weile wird es unangenehm. Ich schiele auf den Rechner. Erst 48 Sekunden. Die Maske kneift. Es riecht nach Autoreifen. Die Sekunden wollen nicht verschwinden. Aber der Streetfighter Achilles beißt sich durch.
    Der Schweiß läuft, die Assistentin

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