Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Achilles' Verse - mein Leben als Laeufer

Achilles' Verse - mein Leben als Laeufer

Titel: Achilles' Verse - mein Leben als Laeufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Achim Achilles
Vom Netzwerk:
Waden strahlt es besonders gemein, fast bis in die Herzkammer. Und die Sehne, die sich vom Schritt bis zum Knie zieht, ist aufs Schmerzlichste gespannt. An guten Tagen kann man sie fiepen hören.
    Vielleicht kündigen sich Infarkte auch durch Geräusche an. Wenn ich mich an das Stechen in der Schulter gewöhnt habe, fangen die Füße zu knacken an. Es können auch die Knöchel sein. Oder die Knie. Oder alle drei. Das Medicum-Terzett. Nach etwa 90 Minuten kommt ein unerklärliches Lungenrasseln dazu. Da hilft auch kein mehrfaches großvolumiges Abspeicheln in allen Farben des Regenbogens. Vielleicht bleibt wenigstens ein Walker drin kleben. Ich rassele, fiepe und knacke also vor mich hin und fühle mich wie einer dieser Musikanten, die gleichzeitig Mundharmonika und Gitarre spielen und auf dem Rücken eine Trommel tragen. Ich sollte an einer Interpretation der kenianischen Nationalhymne feilen und bei »Wetten, dass …?« auftreten.
    Glaubt man Sportmedizinern, müssten nach spätestens einer Stunde Hektoliter von Endorphinen ins Blut schießen, geile Opiate, eine Art körpereigener Wasserpfeife, die Krampf durch Freude ersetzt. Habe ich leider nicht. Eigentlich passiert bei mir nichts von dem, was in Büchern steht, außer Hunger und Müdigkeit. Wahrscheinlich alles Infarktsignale.
    Â»Hier steht, dass du einen Ermüdungsbruch kriegst«, kräht Frau Doktor Mona, »den kriegen alle, die zu viel trainieren.« Ich trainiere nicht zu viel, denke ich. »Männer über 40 sollten einmal im Jahr zur sportmedizinischen Untersuchung gehen«, sagt Ministerin Mona Schmidt. Unsinn, ich fühle mich kerngesund. Außerdem bin ich praktisch noch fast gar nicht richtig über 40. »Empfehlenswert ist Leistungsdiagnostik«, liest Mona Müller-Wohlfahrt, »mit Laktatmessung.«

    Laktatmessung? Das klingt allerdings verlockend. Laktat ist ja für die Muskeln, was Kalk für die Spülmaschine ist: Gift, Bremse, der Feind in meinem Bein. Vielleicht saugen sie bei der Untersuchung auch gleich Laktat ab. »Meine Laktatwerte sind übrigens ganz ordentlich«, könnte ich bei der nächsten Runde mit Klaus-Heinrich fallen lassen, bevor ich ins Unterholz abbiege. Dann hätte er was zum Ärgern, während er auf mich wartet.
    Während ich den Münster-Tatort gucke, googelt Mona nach Laktat-Orten. »Du musst in die Charité«, sagt sie schließlich, »das sind die Besten. Der Doktor dort ist Marathon in 2 Stunden 19 Minuten gelaufen.« Will ich so einen Doktor? Muss man überhaupt alles wissen? Und was ist, wenn er wirklich was findet? Chronische Trainingsfaulheit zum Beispiel? Oder Laktat voller Hefeweizen? Oder ein Lungenvolumen, das nicht reicht, die Pelle eines Wiener Würstchens aufzupusten? »Dann weißt du endlich, wie gut du wirklich bist«, sagt Mona. Genau das ist das Problem. Eine Welt aus sorgsam erdachten Mythen, aus mühsam zusammengebastelten Erklärungen gerät ins Wanken – meine Welt.

Tut’s weh?
    Laufen soll ja Spaß machen und entspannen. So weit die Theorie. In der Praxis geht es brutaler zu. Wer länger läuft, hat ein Zipperlein. Oder mehrere. Wer anfängt zu laufen, erst recht. Wer ehrlich ist, wird feststellen, dass beim Laufen immer etwas wehtut. Läufer sind Meister der Selbstbespiegelung. Sie horchen genau in ihren Körper, wenn sie nach Erklärungen für schlechte Leistungen suchen. Aber auch das Gegenteil gilt. Wer mitten im Training für den ersten Marathon steckt, der überhört jedes Warnsignal. Endorphine können ihren Teil beitragen, weil sie tatsächlich ein wenig gegen Schmerzen immunisieren.
Die Kunst besteht darin, herauszufinden, was wirklich eine Verletzung sein könnte. Jeder Schmerz, der erstmals auftritt, ist ein Warnsignal. Ziehen in den Beinen dagegen ist normal, auch Verspannungen im Schultergürtel sind nicht ungewöhnlich und verschwinden oft sogar durchs Laufen. Auch wenn Ferndiagnosen riskant sind, so kann doch gelten: Ungewohnte Schmerzen an der Achilles-Sehne, an Knie und Hüfte sowie anhaltender Druck oder Stechen im Brustkorb sollten ernst genommen werden. Alles, was nach 48 Stunden verschwunden ist und nicht wiederkehrt, war wohl nicht schlimm – oder leider tödlich.

Anfänger können Laktat nicht von Spagat unterscheiden, Kenner wissen es schon längst: Gute Werte sind viel wert. Kliniken bieten

Weitere Kostenlose Bücher