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Acht Tage im August

Acht Tage im August

Titel: Acht Tage im August Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Winter
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kaum noch den Boden berührten.
    »Du windiger kleiner Zeitungsschmierer«, sagte er in drohend leisem Ton, »du steckst nicht bloß deine Nase überall rein, wo sie nicht hingehört, sondern auch deinen Kasperl. Und ich halt’ jede Wette, dass der in mehr als nur einer minderjährigen Muschi rumgestochert hat. Deine Samstagspartys sind ja legendär, nicht bloß bei den Passauer Studentinnen, sondern auch bei den Mädchen an der Schule. Und ich weiß auch, dass das eine oder andere aus dem Chemiebaukasten für Fortgeschrittene in deiner Bude geraucht, geschnupft und eingeschmissen wird. Ich werd’ zwar nichts finden, wenn ich dein Loft auf den Kopf stell’, so blöd, dass du was von dem Zeug rumliegen lässt, bist du nicht. Aber da, in dem Staubsaugerbeutel, den deine Putzfrau grad rausgetragen hat, find’ ich hundertprozentig ein paar Haschkrümel, ein bisschen Koksstaub und wer weiß was sonst noch alles. Und wenn ich ein bisschen rumhorch’ – und im Rumhorchen bin ich gut –, dann find’ ich auch noch ein paar viel zu junge Girls, denen du – wie einer gewissen Susi Heller – oben einen Joint und unten deinen Schwanz reingeschoben hast. Und dann g’hörst der Katz’, du Drecksau!«
    Es war Hammers längste Ansprache seit Gott weiß wann.
    Grimm war blass geworden, seine Kamera war zu Boden gefallen. »Was … was verlangen Sie?«, stammelte er.
    »Die Rehabilitierung von Professor Walter Friese! Formatfüllend auf der morgigen Titelseite! Heiligsprechung inklusive! Kapiert?« Grimm nickte. Hammer ließ ihn runter. »Dann versteh’n wir uns ja. Also schleich dich in deine Redaktion und lass dir was einfallen. Pulitzer-Preis-verdächtig! Sonst lass’ ich mir was einfallen und dann wirst du für die nächsten Jahre Korrespondent im Straubinger Knast.«
    Grimm schlich davon wie ein geprügelter Hund.
    Seine sündteure Nikon lag noch da. Hammer hob sie auf, öffnete die Mülltonne und schmiss sie hinein.
    »Wird eh’ bloß Dreck drin sein«, murmelte er dabei.

    ***

    Der Himmel war gnädig gewesen, es hatte nicht geregnet über Nacht. So schlief Walter Friese hinter dem Gebüsch neben Annas Grab bis gegen elf Uhr. Ein leises Schluchzen weckte ihn schließlich auf. Sein Kopf war schwer vom Alkohol, das Kreuz schmerzte von dem ungewohnten Nachtlager.
    Mühsam orientierte er sich. Der Friedhof … das Grab … Annas Geburtstag … Er rollte sich auf die Seite, versuchte, durch die Blätter der Büsche zu sehen, es ging aber nicht.
    »Warum, Anna?«, hörte er eine Stimme durch das Blattwerk.
    Schwerfällig kam er auf die Beine und ging um das Gebüsch herum. Ein junger Mann kniete an Annas Grab.
    »Warum, Anna«, wiederholte er. »Warum nur? Ich versteh’s einfach nicht.« Er zog ein schmales Goldkettchen aus der Tasche, an dem ein Kreuz baumelte, hängte es an das schlichte Grabkreuz, sank zurück auf seine Knie, ließ seinen Tränen freien Lauf.
    Friese fühlte sich mit einem Schlag hellwach. Mit zwei schnellen Schritten trat er vor den jungen Mann, riss ihn am Jackenrevers hoch, brüllte ihn an: »Wer sind Sie, was hatten Sie mit meiner Tochter zu schaffen?«
    »Wir haben uns geliebt …, wir waren zusammen …, wir waren ein Paar«, stammelte der, zu Tode erschrocken von dem Überfall des Hünen. »Wir haben uns geliebt«, wiederholte er mit festerer Stimme. »Ich versteh’ nicht, warum sie tot ist.«
    Friese ließ ihn los. »Ich …«, er zuckte hilflos mit den Schultern.

    Assauer kam um die Wegbiegung, die hinter den beiden lag. Sein Instinkt hatte ihn nicht getrogen. Hier, an Annas Grab, an ihrem 17. Geburtstag, den sie nicht mehr erlebte, würde er ihren Freund antreffen: den hübschen angehenden Priester Johannes, von dessen Liebe zu Anna unter keinen Umständen jemand hatte erfahren dürfen. Und hier bei ihm war auch Annas Vater.
    Assauer verharrte ein paar Schritte von den beiden entfernt hinter einem Grabstein.
    Von dort hörte er Johannes erzählen, wie er Anna, als er die Jugendgruppe der Gemeinde übernahm, begegnete, ihr beim Latein half, wie sie sich bald darauf verliebt hatten, heimlich – man durfte ihn, den angehenden Priester, ja nicht mit ihr sehen – durch den Wald gestreift waren, oft patschnass, mal still, mal sprudelnd vor Worten, wie sie schließlich den Turm zu ihrem Liebesnest erkoren, dort stundenlang geredet, gelegen, in die Ferne geschaut, dem Regen zugehört, einander geliebt hatten, gerade hoch genug über der mitmenschlichen Neugier; wie sie an jenem

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