Königin der Schwerter
Prolog
Der Boden erbebte unter den rhythmischen Schlägen großer Kriegstrommeln. Das Klirren von Waffen und Rüstungen kündete von Tod und Verderben, während das Licht Tausender Fackeln den Himmel im Osten gleich einem mitternächtlichen Sonnenaufgang en t flammte. Wie ein endloser, glühender Strom schoben sich die Truppen Torpaks durch die Täler des Hoc h lands, um sich von dort aus in die Ebene vor dem Weißen Tempel zu ergießen.
Zarife, die letzte Hohepriesterin Benizes, stand auf dem einzigen Wehrturm des Tempels und beobacht e te, wie sich die Krieger unweit der Mauern zum A n griff formierten.
»Es sind … so viele.« Die Stimme der Novizin zu ihrer Linken bebte vor Furcht. »Glaubt Ihr, die Das h ken werden rechtzeitig eintreffen?«
Zarife antwortete nicht. Sie wusste, es war keine Hilfe zu erwarten. Die Dashken, jene mächtigen El e mentarwesen des Hochlands, die den Hohepriesteri n nen des Weißen Tempels seit Jahrhunderten une r schütterlich zur Seite gestanden hatten, würden nicht kommen. Sie selbst hatte ihnen befohlen, nicht ei n zugreifen.
»Komm! Es ist Zeit.« Zarife zog sich das Gewand enger um den Körper und wandte sich um. Ein ha l bes Dutzend Raben, Wächter und Botenvögel der Priest e rinnen, stiegen auf und flogen krächzend d a von, als die beiden Frauen den Wehrturm verließen und die gewundene Treppe zum Innenhof des Tempels hinu n terstiegen.
Die dreihundert Getreuen, die sich dort nahe dem heiligen Feuer versammelt hatten, senkten ehrfürc h tig das Haupt. Die meisten von ihnen trugen den aschfa r benen, fein gewebten Umhang der Priesterinnen, w e nige, viel zu wenige die Rüstung der Te m pelwache.
»Herrin.« Oren, ein hünenhafter Schwertkämpfer mit schwarz tätowiertem Schädel, trat vor. Seine au f rechte Haltung kündete davon, dass ihm alle Furcht fremd war. Kraftvoll und entschlossen waren seine Bewegungen, als er die geballte Schwerthand zum Gruß gegen den Brustharnisch schlug, das Knie beugte und mit fester Stimme sagte: »Die Wachen des Te m pels sind bereit, Euch mit ihrem Leben zu schützen.«
»Mögen die Götter mit euch sein.« Orens Helde n mut berührte Zarife. Er war ein Mann, auf dessen Schwert und Rat sie sich immer hatte verlassen kö n nen und der ihr wie kein anderer bedingungslos erg e ben war. Sie wusste, dass sie ihm nichts vorm a chen konnte. Botenvögel hatten ihnen die Stärke der A n greifer verraten, ehe auch nur ein Krieger To r paks den Fuß auf den heiligen Boden des Hochlands gesetzt hatte.
»Der Weiße Tempel ist keine Festung«, hatte er d a mals zu ihr gesagt. »Das große Tor wird nur von einem einzigen Balken gesichert. Die Mauern sind dünn und so niedrig, dass die Feinde sie schon im ersten Ansturm überrennen werden.« Er hatte ihr zur Flucht geraten. Sie aber hatte sich entschieden zu ble i ben.
Zarife hatte den Gedanken noch nicht zu Ende g e führt, da wurde es schlagartig still. Das Dröhnen der Trommeln verstummte, das Klirren der Waffen e r starb. Was blieb, war das leise Geräusch des Wi n des, der klagend durch die schmalen Lichtschlitze der u m liegenden Gebäude fuhr.
Zarife erschauerte, wusste ihre Gefühle aber wohl zu verbergen.
Langsam ließ sie den Blick über die Gesichter der Umstehenden schweifen. Entschlossenheit und I n grimm, banges Hoffen und Furcht schlugen ihr entg e gen. Ob Krieger oder Lakai, Priesterin oder Nov i zin, in diesem letzten Innehalten vor dem Angriff ve r schwamm die straffe Rangordnung, die innerhalb des Tempels geherrscht hatte. Hier und jetzt waren sie alle gleich. Verlorene Seelen, die angesichts der gewaltigen Übermacht vor den Toren nur eines zu erwarten ha t ten: den Tod.
Zarife spürte, dass sie etwas sagen musste. »Meine getreuen Freunde«, hob sie mit fester Stimme an. »Die Stunde der Entscheidung ist nah. Die Krieger Torpaks sind uns dutzendfach überlegen. Sie werden nicht z ö gern, uns zu töten. Wir aber werden ihnen zeigen, dass wir zu kämpfen wissen, und ihnen b e weisen, dass wir selbst im Angesicht des Todes nicht verleugnen, wofür wir gelebt und woran wir g e glaubt haben. Möge der Geist Benizes überdauern.«
Niemand antwortete. Das Schweigen auf dem Platz lastete schwer, Zarife glaubte, es mit den Händen gre i fen zu können. Sie wusste, dass die Me n schen mehr von ihr erwartet hatten. Doch was hätte sie ihnen s a gen sollen? Sie hatte keine Furcht. Sie war bereit. Die anderen waren entbehrlich. Wie der Weiße Tempel gehörten auch sie schon jetzt der
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