Achtung Kurven
auf dem blonden Haar ein sportliches Lederhütchen von der gleichen Farbe sah, löffelte an dem Tischchen ein Eis.
»Verzeihung, ist der zweite Platz frei?«
Sie blickte auf — und er glaubte, an Halluzinationen zu leiden. Die junge Dame im dunkelgrünen Leder war Marianne Schütz. Sein Anblick schien auf sie die gleiche Wirkung auszuüben wie der ihre auf ihn.
»Wie kommen Sie hierher?« fragte er überrascht.
»Dasselbe könnte ich Sie fragen«, antwortete sie sehr unfreundlich, »aber wenn Sie es genau wissen wollen, ich komme aus Kassel.«
Er sah sich im Wagen um, als suche er tatsächlich einen anderen Platz, aber auch hier waren sogar die Vierpersonentische besetzt.
»Gestatten Sie?« fragte er also.
»Der Platz ist frei«, sagte sie in einem Tonfall, als ob sie es leider nicht verhindern könne, daß er sich zu ihr setze, »und außerdem habe ich den Ober schon um meine Rechnung gebeten.«
Er klemmte sich auf den breiten Polstersessel, wie er sich mit seinen zu lang geratenen Beinen auf den Steuersitz des VW zu drücken pflegte, und klopfte die Taschen nacheinander nach seinen Zigaretten und dem Feuerzeug ab. Er hatte beides in die Tasche seines Trenchcoat gesteckt, der im Abteil hing. Sie merkte selbstverständlich, was er suchte, aber sie dachte nicht daran, ihm ihre Zigaretten anzubieten, die vor ihr auf dem Tisch lagen. Sie löffelte ihr Vanilleeis in kleinen Portiönchen . Er starrte an ihr vorbei auf die vorüberfliegenden Felder hinaus, aber ihr Gesicht spiegelte sich in der Fensterscheibe. Und jedesmal , wenn sie ein Löffelchen voll Eis zum Munde führte, sah es aus, als strecke sie ihm die Zunge aus, eine spitze und sehr rote Zunge.
Der Kellner kam und bedauerte, das Menü nicht mehr servieren zu können, aber natürlich gäbe es noch kalte Küche. Herold bestellte sich eine Portion Kaffee und einen doppelten Cognac. Er ärgerte sich im gleichen Augenblick, in dem er den Cognac, und diesen gleich doppelstöckig, bestellte. Der Cognac sah nach Schwäche aus, die er durch den Alkohol zu überwinden hoffte.
»Na, wohin geht die Reise?« fragte Fräulein Schütz.
»Zuerst nach München«, antwortete er nervös und unbestimmt, denn auch die Tatsache, daß er nach Italien unterwegs war, schien ihm ihr gegenüber angeberisch. Aber Marianne ließ nicht locker: »Und dann?«
»Ein Freund hat mir stundenlang von einem Urlaub vorgeschwärmt, den er in Rimini verbrachte«, antwortete er. »Ich war nämlich noch nie in Italien...«
»Ich auch nicht«, sagte sie, »und ich hielt mich bisher für den einzigen Menschen in Deutschland, der noch nicht in Italien war. Na, immerhin sind es jetzt schon zwei.«
»Wo fahren Sie denn hin?« fragte er mißtrauisch. »Etwa auch an die Adria?« Der Verdacht, der ihm durch den Kopf schoß, Figur in einem abgekarteten Spiel zu sein, war so absurd, daß er ihn im gleichen Augenblick wieder fallenließ . Gewiß, Rothe hatte den Speisewagen fast suggestiv erwähnt, aber bestimmt nicht deshalb, weil er wußte, daß Marianne Schütz im Zuge war, sondern weil man im Speisewagen >ein Bierchen zischen< konnte, was eben zu Rothes Vorstellungen von Reisekomfort gehörte...
»Nein, ich fahre nur nach München.«
»Ich habe Ihnen übrigens geschrieben, Fräulein Schütz...«
»Ich habe nichts bekommen...«
»Können Sie auch nicht, ich habe den Brief erst gestern abgeschickt.«
»Was hatten Sie mir wohl mitzuteilen, Herr Herold?« sagte sie in einem Tonfall, als könne sie sich nicht vorstellen, was ihn veranlaßt haben mochte, ihr einen Brief zu schreiben.
»Ich habe meine Stellung in der Fahrschule Bauersfeld aufgegeben...«
»Die Absicht haben Sie doch schon einmal gehabt. Damals hatten Sie Ärger mit Ihrem Chef, aber dann wollten Sie ihn nicht im Stich lassen, weil er auf der Nase lag. Nun ist er tot. Ob sein Tod für Frau Bauersfeld ein großer Verlust ist, kann ich nicht beurteilen. Für die Fahrschule ist er es doch sicher. Und nun gehen Sie also auch noch. — Kann Frau Bauersfeld den Verlust von zwei bewährten Fachkräften denn verkraften?«
»Ich weiß nicht genau, welche Absichten Frau Bauersfeld hatte, aber ich weiß genau, daß ich niemals die Absicht hatte, in der Fahrschule Bauersfeld etwas anderes zu sein als Fahrlehrer...«
Sie sah ihn starr an, als könne sie diesen nebulösen und verschraubten Worten nicht recht folgen. »Das haben Sie mir geschrieben?« fragte sie.
»So etwas Ähnliches. Ich finde es nämlich gar nicht spaßig, von einem
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