Aelita
Katjas Tod hatte er dort nicht mehr genächtigt. Die Vorhänge waren heruntergelassen, und es war beinahe dunkel in dem Raum, nur in dem Spiegel von Katjas Kleiderschrank leuchtete ein heller Schein: die Spiegeltür war ein wenig geöffnet. Losj runzelte die Stirn, trat auf den Fußspitzen näher und machte sie fest zu. Dann verschloß er die Tür zum Schlafzimmer. Er verließ die Wohnung, verschloß auch die Eingangstür und steckte den flachen Schlüssel in seine Westentasche.
Jetzt war alles Notwendige vor der Abreise getan.
In derselben Nacht
In dieser Nacht wartete Mascha lange auf ihren Mann; mehrmals schon hatte sie den Teekessel auf dem Petroleumkocher aufwärmen müssen. Hinter der hohen Eichentür war es still und unheimlich.
Gussew und Mascha wohnten in einem Zimmer eines ehemals eleganten, riesigen, jetzt leerstehenden Hauses. Während der Revolution hatten seine Bewohner es verlassen. In vier Jahren war es vom Regen und den Winterstürmen in seinem Innern ziemlich mitgenommen worden.
Das Zimmer war geräumig. An der Decke, zwischen goldener Schnitzerei und gemalten Wolken, flog eine üppige Frau und lächelte über das ganze Gesicht, rings um sie herum waren geflügelte kleine Kinder.
»Siehst du, Mascha«, pflegte Gussew immer wieder zu sagen und zeigte dabei auf die Decke, »was das für eine fröhliche Frau ist: wohbeleibt, sechs Kinder hat sie – das ist ein Weib.«
Über dem vergoldeten, auf Löwenfüßen ruhenden Bett hing das Porträt eines alten Mannes in gepuderter Perükke, mit verkniffenem Mund, einen Stern auf dem Rock. Gussew nannte ihn »General Stampfer«. »Der läßt keinem was durchgehen; paßt ihm etwas nicht, stampft er gleich mit den Füßen.« Mascha fürchtete sich vor dem Porträt und sah nie hin. Durch das Zimmer zog sich ein Blechrohr zu dem eisernen Öfchen, von dem die ganze Wand verrußt war. Auf den Regalen wie auf dem Tisch, wo Mascha das kärgliche Mahl bereitete, herrschten Ordnung und Sauberkeit.
Die geschnitzte Eichentür führte in einen Saal, der durch zwei Stockwerke ging. Die zerschlagenen Fenster waren mit Brettern vernagelt, die Decke an manchen Stellen abgebröckelt. In stürmischen Nächten heulte hier der Wind und liefen Ratten umher.
Mascha saß am Tisch. Der Petroleumkocher zischte. Von fern her trug der Wind das traurige Geläut einer Uhr – es schlug zwei. Gussew kam nicht. Mascha dachte: ›Was sucht er, woran fehlt es ihm? Immer will er irgend etwas finden, die unruhige Seele, Aljoscha, Aljoscha… Wenn du nur einmal die Augen zumachtest, an meiner Schulter dich ausruhtest, Söhnchen: such nicht, du findest doch nichts, was teurer wäre als mein Mitleid.‹
An Maschas Wimpern hingen Tränen, sie wischte sie ohne Eile weg und stützte die Wange mit der Hand. Über ihrem Kopf flog die lustige Frau und konnte doch nicht davonfliegen mit ihren fröhlichen Kindern. Mascha dachte bei sich: ›Ja, wenn ich so wäre wie die, nirgendshin würde er gehen, fort von mir.‹
Gussew hatte ihr gesagt, daß er auf eine weite Reise gehe, doch wohin, das wußte sie nicht und fürchtete sich zu fragen. Sie sah es auch selber ein, daß er dieses Leben mit ihr in diesem wunderlichen Zimmer, in der Stille, ohne die einstige Freiheit, nicht ertrug. Nachts, im Traum, knirscht er manchmal mit den Zähnen, schreit dumpf auf, setzt sich im Bett hoch und atmet schwer – die Lippen fest aufeinandergepreßt, Gesicht und Brust in Schweiß gebadet. Er sinkt wieder aufs Kissen, schläft ein, doch am Morgen ist er dann immer finster und ruhelos. Mascha ging schon so sanft mit ihm um, war so zärtlich und sorgte für ihn besser als eine Mutter. Dafür liebte er sie und hatte Mitleid mit ihr, doch kaum war der Morgen da, suchte er nach einem Grund, aus dem Haus zu gehen.
Mascha hatte irgendwo eine Anstellung und brachte ihre Lebensmittelrationen nach Hause. Geld hatten sie häufig gar keins. Gussew griff mal nach dieser und mal nach jener Arbeit, warf sie aber bald wieder hin. Er sagte manchmal: »Die Alten erzählten früher, in China sei ein goldener Keil. So einen Keil wird es dort wohl nicht geben, aber das Land ist uns wirklich ganz unbekannt; Mascha, ich geh nach China und schau mir an, was dort los ist.«
Wie auf den Tod wartete Mascha voller Qual auf die Stunde, da Gussew fortgehen würde. Außer ihm hatte sie niemanden auf der Welt. Von ihrem fünfzehnten Jahr an war sie Verkäuferin in Läden oder Kassiererin auf den kleinen Newadampfern gewesen. Sie hatte ein
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