Die Drachenjägerin 2 - Winter, M: Drachenjägerin 2
Für die Frau unten im Tal sahen die Drachen vor dem gleißend blauen Hintergrund des Himmels schwarz aus. Der Umriss des Mannes wirkte klein und dunkel zwischen den riesigen Ungeheuern. Einer, der verloren war. Sie presste die Lippen aufeinander, während die Bestien ihn zerfetzten, ihn bissen, ihn wie einen Spielball gegen die Felswand warfen. Kein Schrei entschlüpfte ihrer Kehle, während sie von ihrem Versteck aus miterleben musste, wie er kämpfte, unerschrocken, unermüdlich, unbesiegbar.
Dann erhoben sich die Drachen wieder in die Luft und rauschten davon.
Stille. Der Felsvorsprung war leer. Sie konnte den Blick nicht abwenden, sich nicht bewegen, wie gelähmt starrte sie nach oben. Ihre Augen waren trocken, und in ihrem Mund breitete sich ein bitterer Geschmack aus, aber sie würde nicht weinen. Hatte sie es nicht immer gewusst, dass es darauf hinauslaufen würde? Wer sich mit Drachen einließ, warf sein Leben fort. Sie hatte es ihm oft genug gesagt, und er hatte nicht auf sie hören wollen, dieser Sturkopf von einem Mann. Der Zorn musste größer sein als die Trauer, oder sie war genauso verloren wie er.
» Du musst stark sein«, flüsterte sie, vielleicht zu sich, vielleicht auch zu dem Kind, das sie eng an sich presste. Nur nicht weinen. Sie sammelte die Kraft in sich, um nicht zusammenzubrechen, um nicht in den Schrei hineinzufallen, der in ihrer Kehle wuchs.
Wähle den Zorn. Alles ist besser, als das zu fühlen, was in deinem Herzen ist. Alles ist besser als dieser Verlust.
Erst als sich die dunkle Silhouette des Kämpfers quälend langsam wieder aufrappelte, keuchte sie auf. Er war es, zweifellos, selbst aus dieser Entfernung erkannte sie ihn an seinem Pferdeschwanz, an den breiten Schultern. Zum ersten Mal seit langem fühlte sie zaghafte Hoffnung in sich aufkeimen. Er lebte. Er würde zu ihr heruntersteigen, und dann würden sie fliehen, so weit sie konnten. Bis ans Ende der Welt, wenn es sein musste. Unwillkürlich begann sie zu zittern, und sie drückte das kleine Mädchen so fest, dass es protestierte, aber sie merkte nicht einmal, wie es versuchte, sich ihrem Griff zu entwinden.
Von hier unten war sein Zustand nur zu erraten, doch ihr war, als würde sie neben ihm stehen und fühlen, was er fühlte. Er sah nicht mehr aus wie ein Ritter. Von der Schulter bis zum Oberschenkel zog sich eine Reihe blutiger Löcher, und seine Kleidung war zerfetzt und verbrannt. Vom Knie bis zu den abgewetzten, von frischem Blut bedeckten Halbstiefeln lag der Knochen bloß. Trotzdem stand er noch aufrecht, schwankend zwar, aber ungebrochen. Mit dem einen Auge, das ihm geblieben war, blinzelte er in die Helligkeit des Tages.
Die Drachen hatten ihn für tot gehalten, aber er lebte noch. Er war nicht so leicht umzubringen. Vielleicht konnte er jetzt zu ihr zurückkehren. Alles würde gut werden …
In diesem Moment kam der rote Drache.
Die Frau starrte nach oben, unfähig, sich abzuwenden. Das riesige Tier bäumte sich auf, breitete die gewaltigen Schwingen aus. Seine Schuppen leuchteten im Sonnenlicht wie eine zweite Sonne, ein gefallener Stern. Es stieß ein unmenschliches Kreischen aus, einen Laut, der ihr das Blut in den Adern gefrieren ließ.
Das Kind wimmerte und drängte sich enger an sie. Die Frau hielt es fest, aber sie konnte immer noch nicht wegsehen, und so litt sie mit ihrem Mann, bis zum bitteren Ende: Das Feuer aus dem Rachen des Untiers hüllte die kleine, dunkle Gestalt des Ritters vollkommen ein. Er brannte wie eine Fackel; in dieses Licht getaucht wirkte er wie ein Zauberer in einer Wolke aus Macht.
Dann war er fort.
Asche regnete auf sie herunter.
Ein qualvoller Laut des Kummers kam über ihre Lippen. Sie schlug die Hand vor den Mund und konnte es dennoch nicht verhindern. Ihr Schrei hallte durch das Tal, wurde von den Felsen zurückgeworfen, vervielfachte sich. Ihr eigenes Leid gellte ihr in den Ohren, und erschrocken nahm sie das Kind hoch und rannte los.
Es gab kein Entkommen. Der Drache warf sich vom Felsvorsprung herunter, segelte über die Baumwipfel und brach krachend durch die Äste. Die Frau heulte auf und wandte sich in die andere Richtung, doch es war zu spät. Die mächtigen Schwingen ließen Äste und ganze Baumstämme zerbersten. Dagegen war die Stimme, die sie so hasste, geradezu sanft zu nennen, eine Stimme voller Gold, als malte die Sonne ihre Farben an den Himmel.
» Gib mir das Kind«, sagte der Drache.
» Nein!« Sie drückte das kleine Mädchen fest an sich. »
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