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In den Fängen der Macht

In den Fängen der Macht

Titel: In den Fängen der Macht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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    »Wir sind bei Mr. und Mrs. Alberton zum Dinner eingeladen«, sagte Hester als Antwort auf Monks fragenden Blick über den Frühstückstisch hinweg. »Sie sind Freunde von Callandra. Eigentlich war sie ebenfalls eingeladen, aber sie wurde überraschend nach Schottland gerufen.«
    »Ich nehme an, du möchtest die Einladung trotzdem annehmen«, folgerte Monk, wobei er ihr Gesicht beobachtete.
    Für gewöhnlich erfasste er ihre Gefühle rasch, manches Mal mit erschreckender Akkuratesse, wohingegen er andere gründlich missverstand. Bei dieser Gelegenheit lag er jedoch richtig.
    »Ja, das möchte ich. Callandra sagte, sie seien bezaubernde und interessante Menschen und hätten ein wunderschönes Haus. Mrs. Alberton ist Halbitalienerin, und offenbar sah auch Mr. Alberton viel von der Welt.«
    »Nun, ich nehme an, dann sollten wir die Einladung annehmen. Obwohl sie sehr kurzfristig ausgesprochen wurde, nicht wahr?«, sagte er ungnädig.
    Es war tatsächlich eine kurzfristige Einladung, Hester wollte jedoch nicht an etwas herumnörgeln, was interessant zu werden versprach und möglicherweise sogar den Beginn einer neuen Freundschaft bedeutete. Sie hatte nicht viele Freunde. Es lag in der Natur ihrer Arbeit als Krankenschwester, dass ihre Freundschaften oft von flüchtigem Charakter waren. Sie war seit geraumer Weile an keinem fesselnden Diskurs mehr beteiligt gewesen. Sogar Monks Fälle, finanziell zwar lukrativ, waren während der letzten vier Frühlings und Frühsommermonate höchst uninteressant gewesen, und er hatte nur selten ihren Ratschlag erbeten. Dies machte ihr nichts aus. Diebstahl war langweilig und meist durch Gier motiviert, und sie kannte die Betroffenen nicht.
    »Gut«, sagte sie lächelnd und faltete den Brief. »Ich werde augenblicklich antworten und sagen, dass wir entzückt sind.«
    Seine Antwort war ein schiefer, nur leicht sarkastischer Blick.
    Kurz vor halb sieben erreichten sie das Haus der Albertons am Tavistock Square. Wie Callandra es beschrieben hatte, war es ein stattliches Haus, obwohl Hester es einer Bemerkung nicht für wert gehalten hätte. Doch sie änderte ihre Meinung, sobald sie in der Eingangshalle standen, die von einer geschwungenen Treppe dominiert wurde, hinter deren halber Höhe sich ein mächtiges bleiverglastes Fenster befand, durch das die Abendsonne schien. Es war wahrhaft wunderschön, und Hester ertappte sich dabei, es anzustarren, während sie doch eigentlich ihre Aufmerksamkeit dem Butler hätte zuwenden müssen, der sie eingelassen hatte.
    Auch der Salon war ungewöhnlich. Mit weniger Mobiliar ausgestattet, als es üblich war, und in blasseren und wärmeren Farben gehalten, erzeugte er eine Illusion von Licht, obwohl die hohen Fenster, die auf den Garten hinausgingen, den Blick auf den östlichen Himmel freigaben. Die Schatten wurden bereits länger, obgleich es zu dieser Zeit, so kurz nach der Sommersonnenwende, erst nach zehn Uhr dunkel werden würde.
    Hesters erster Eindruck von Judith Alberton war, dass sie eine außergewöhnlich schöne Frau war. Sie war überdurchschnittlich groß, hatte einen schlanken Hals und Schultern, die die üppigen Rundungen ihrer Figur betonten und dieser eine Zierlichkeit verliehen, die sie ansonsten nicht besessen hätte. Betrachtete man ihr Gesicht näher, so entsprach es keineswegs der konventionellen Auffassung von Schönheit. Ihre Nase war kerzengerade, aber ziemlich markant, ihre Wangenknochen hoch, ihr Mund zu groß und ihr Kinn definitiv zu kurz. Ihre schräg stehenden Augen hatten einen goldenen herbstlichen Ton. Die ganze Erscheinung war edel und verriet die der Frau innewohnende Leidenschaft. Je länger man sie betrachtete, desto bezaubernder wirkte sie. Hester mochte sie vom ersten Augenblick an.
    »Guten Abend«, sagte Judith herzlich. »Ich freue mich ja so, dass Sie gekommen sind. Es ist sehr liebenswürdig von Ihnen, nachdem die Einladung doch sehr kurzfristig war. Aber Lady Callandra sprach mit solcher Zuneigung von Ihnen, dass ich nicht länger warten wollte.« Sie lächelte Monk an. In ihren Augen funkelte aufflammendes Interesse, als sie sein dunkles Gesicht mit den prägnanten Wangenknochen und der kräftigen Nase betrachtete, dennoch war es Hester, der sie ihre Aufmerksamkeit widmete. »Darf ich Ihnen meinen Gatten vorstellen?«
    Der Mann, der auf sie zutrat, war eher als kultiviert denn als gut aussehend zu bezeichnen. Er wirkte weit gewöhnlicher als seine Gattin, doch seine Gesichtszüge waren ebenmäßig und

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