Aggression: Warum sie für uns und unsere Kinder notwendig ist (German Edition)
auf die Gesundheit aller Beteiligten aus. (Wenn Sie glauben, dass dieses Beispiel extrem ist, empfehle ich Ihnen eine Reise nach Südeuropa oder nach Schweden, wo der offizielle Standard lautet: Zwei Erwachsene betreuen allerhöchstens 18 Kinder.) Dieser Stand der Dinge ist nicht nur für die Kinder gesundheitsgefährdend, sondern für jeden Beteiligten, für Familien wie Betreuerinnen.
Eine Erzieherin, die fünf Stunden pro Tag allein mit 28 Kindern verbringt und ihren Job nicht kündigen kann, weil ihre Familie von ihrem Einkommen abhängt, wird möglicherweise von Schuldgefühlen, in ihrem Beruf nicht gut genug zu sein, überschwemmt. Sie wird allmählich die ursprüngliche Energie, die sie bewogen hatte, mit Kindern zu arbeiten, verlieren; zudem wird sie eine weniger zugängliche Partnerin und Mutter sein. Die letzte Konsequenz heißt »Burn-out-Syndrom«, möglicherweise Trennung und Scheidung. Das »optimistischere« Szenario sieht vor, dass sie ihren Job wechselt und nicht mehr als Erzieherin tätig ist; die Gesellschaft verliert somit endgültig die Hoffnung, die sie veranlasst hatte, in ihre Ausbildung zu investieren.
Auf solche Umstände werden Kinder entweder mit aggressivem und/oder hyperaktivem Verhalten reagieren oder mit Resignation. Kinder kämpfen für die Aufmerksamkeit und Unterstützung, die sie brauchen, oder sie geben auf und werden zu »gut funktionierenden« Individuen. Die erste Gruppe wird sehr schnell als Kinder mit »speziellen Bedürfnissen« definiert und avanciert zu einer Gruppe, die hohe Kosten verursacht. Psychologen, Sonderpädagogen, Verhaltenstherapeuten, Physiotherapeuten und Gesprächtherapeuten treten auf den Plan. Alle trösten sich mit dem Gedanken, den Kindern »helfen« zu wollen – das wird noch immer als edles Ziel angesehen, doch entspricht es nicht unbedingt den Anforderungen ihres beruflichen Ethos und ihrer Integrität.
In vielen Ländern haben wir bereits die Erfahrung eines weiteren Schrittes gemacht: Dort wird eine politische Agenda durchgezogen, die die »Integration« von allen Kindern in Kindertagesstätten und Schulen vorsieht. Irgendwie gelingt es Politikern, solche Maßnahmen im Namen der Humanität »zu verkaufen« – sie können sich schließlich darauf verlassen, dass Eltern ein »normales Kind« haben wollen. Doch das ist zynisch und kurzsichtig, zudem kostspieliger.
Ein »dysfunktionales Kind« zu haben, ist der ultimative Albtraum für die Großzahl der Eltern. Diese Kategorisierung fordert einen hohen Tribut von den Eltern, ihrer Ehe und ihrer Fähigkeit, weiterhin ihrem Beruf nachzugehen. Das Gefühl der Scham und Schuld ist so groß, dass es Eltern oft vorziehen, im Stillen zu leiden – als ob sie die Übeltäter wären. Die Mittel der Gemeinden sowie der Gesellschaft, die für soziales Wohlergehen und Gesundheit ausgegeben werden, sind enorm. Trotzdem widmet sich diesem Phänomen keine wissenschaftliche Studie – die Regierungen der verschiedenen Länder achten sehr genau darauf, welche Studie sie auswählen und finanzieren!
Die andere Gruppe von Kindern – jene, die resignieren und »leicht zu handhaben und zufriedenzustellen« sind – wird bis zur Pubertät meist keine ökonomische Bürde für die Gesellschaft darstellen. Kommen sie jedoch in die Pubertät, finden wir eine alarmierend große Zahl in Kinder- und Jugendpsychiatrien wieder. Sie haben nicht nur die frühen, prägenden Erfahrungen in den Kindertagestätten hinter sich, sondern sind auch bereits durch Schulen gegangen, in denen Lehrer noch immer fest daran glauben, dass leicht zu handhabende Kinder gesunde Kinder sind. Die Mehrzahl dieser Kinder sind Mädchen. Wir finden sie in Ländern, in denen die Frauenemanzipation sehr langsam voranschreitet und das Recht, sich selbst auszudrücken und zu entfalten, noch immer nicht selbstverständlich ist; sie sind jetzt Ende dreißig oder Anfang/Mitte vierzig, suchen viel zu oft ihren Hausarzt auf, lassen sich scheiden, leiden an Depressionen und Angstzuständen sowie an vielen anderen Symptomen, die eine mangelhafte Lebensqualität verursacht.
Kurz und knapp habe ich zu beschreiben versucht, was Sparmaßnahmen an falscher Stelle mit sich bringen. Wenn wir Kosten sparen wollen und dabei die Qualität der Kindertagestätten aufs Spiel setzen, müssen wir mit Konsequenzen rechnen. Sparmaßnahmen beruhen auf der irrigen Annahme, dass Qualität mit hohen Kosten verbunden sei. Dabei wird die Tatsache ignoriert, dass der Mangel an Qualität
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