Ahoi, liebes Hausgespenst!
Boden.
Die Tänzer stoben auseinander.
Uschi stellte die Musik auf halbe Lautstärke. „Meine Damen und Herren, es scheint ein kleines Malheur passiert zu sein! Bitte, nehmen Sie Rücksicht! Es besteht kein Anlaß zur Panik!“ Sie legte das Mikrophon aus der Hand und betrat die Tanzfläche.
Ein Kreis von Passagieren hatte sich um Brian gebildet, der auf dem Boden saß und sich das Schienbein rieb. „Jemand hat mir ein Bein gestellt!“ behauptete er wütend.
„Ach, Unsinn!“ Uschi half ihm auf. „Wer sollte denn so was tun?!“
Brian wies von Monika auf Norbert: „Die oder der!“
„Sag doch so was nicht! Du bist ganz einfach gestolpert!“
„Aber ich habe doch gemerkt, wie jemand mir ein Bein gestellt hat!“
„Soll ich dir mal was sagen? Du bist ganz einfach übermüdet!“
Dann drängte sich Brians Vater durch den Kreis, packte ihn beim Kragen und sagte etwas in englischer Sprache zu ihm, das ziemlich böse klang. Er sagte: „Sorry, Monika!“, was bedeuten sollte, daß er den Zwischenfall bedauerte, und zog Brian mit sich fort.
„Armer Brian!“ sagte Monika unwillkürlich.
„Aber wieso denn?“ erwiderte Uschi. „So benimmt man sich doch nicht!“ Sie eilte wieder zu ihrem Mikrophon und rief: „Meine Damen und Herren, Ladies and Gentlemen, es darf getanzt werden!“ Gleich darauf lief die Musik wieder auf vollen Touren.
Obwohl Monika ehrliches Mitleid mit Brian hatte, war sie doch froh, daß er jetzt fort war. So konnte sie endlich wieder unbekümmert tanzen — hatte sie wenigstens gedacht.
Sie traute ihren Augen nicht, als plötzlich Amadeus höchstpersönlich im Glitzerglanz des psychedelischen Lichtes vor ihr auftauchte, ohne Perücke zwar, mit offenem blondem Haar, aber doch unverkennbar er. Höchst possierlich bewegte er sich vor ihr im Rhythmus des Disko-Sounds.
Monika fühlte sich wie an Händen und Füßen gelähmt; sie konnte ihn nur mit offenem Mund anstarren.
„Was ist los mit dir, Monique?“ überbrüllte Amadeus die Musik. „Komm, laß uns tanzen!“
Monika warf einen vorsichtigen Blick nach links und einen nach rechts. Nein, noch war niemandem die sonderbare Gestalt aufgefallen. So sonderbar wirkte er übrigens auch gar nicht, denn viele Damen waren in glitzerndem Lurex oder in schimmernder Seide erschienen, wenn sich auch ein normaler Junge nicht wie er gekleidet hätte.
Oder sahen die anderen ihn vielleicht gar nicht?
Der Kapitän tanzte an ihr vorbei. „Ein neuer Freund?“ fragte er augenzwinkernd.
„Wer?“ rief sie verdattert zurück.
Lächelnd machte der Kapitän eine Kopfbewegung in die Richtung von Amadeus.
Also sah auch er ihn! Schreck laß nach!
Mit einem Schlag gewann sie die Beherrschung über ihre Gliedmaßen wieder zurück. Aber sie nutzte sie nicht, um weiter zu tanzen, sondern um wie von Furien gehetzt davonzulaufen. Fast wäre sie dabei über die Stufen der Bühne herunter zu Boden gestürzt, aber nicht, weil jemand sie gestoßen hatte, sondern vor lauter Aufregung.
Dieser Schreck genügte, um sie vorsichtiger zu machen. Es hätte noch gefehlt, wenn den anderen ihr überstürzter Abgang aufgefallen wäre. Also tastete sie behutsam durch den großen dunklen Raum, an Tischen und Stühlen vorbei und die Treppe hinauf.
Sie holte sich den Kabinenschlüssel beim Office und atmete auf, als sie endlich wieder in ihren eigenen vier Wänden — eigen zumindest während der Kreuzfahrt — angekommen war. Hier konnte Amadeus sie wenigstens nicht mehr blamieren.
Die Betten waren längst zur Nacht gerichtet. Rasch duschte sie noch, putzte sich die Zähne, band ihr Haar mit Gummibändern zusammen und schlüpfte unter die Decke.
Sie lag kaum im Bett, als Ingrid erschien.
„Sag mal, was fällt dir eigentlich ein?“ fragte die Freundin. „Wieso machst du dich davon, ohne uns ein Wort zu sagen?“
„Ich wollte euch nicht stören“, schwindelte Monika.
„Seit wann bist du so rücksichtsvoll?“
„Immer schon gewesen.“ Monika drehte sich zur Seite, schaltete das Radio ein und drückte auf den rechten Knopf, wie sie es in der Anweisung gelesen hatte.
„Was machst du denn jetzt?“ fragte Ingrid, immer noch ungehalten.
„Ich will mich morgen früh um sechs wecken lassen.“
„Aber, bitte, nicht so laut.“
Monika schloß die Augen und versuchte zu schlafen. Aber sie war überdreht. Als Ingrid dann endlich auch in ihrem Bett lag und das Licht gelöscht hatte, konnte sie die Geschichte doch nicht länger für sich behalten.
„Amadeus?“
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