Am Freitag schwarz: Kriminalroman (German Edition)
1
Ich war der Erste unter meinen MBA-Kommilitonen, der es zum Managing Director gebracht hat. Und ich war, soweit ich weiß, der Erste, der ins Gefängnis kam.
Am Tag der Entlassung richten sie es so ein, dass du kein Frühstück mehr kriegst. Das ist nicht die letzte Demütigung und bei Weitem nicht die schlimmste; es ist nur eine Kleinigkeit, belanglos eigentlich, aber es wäre nicht nötig, und es bläut dir ein letztes Mal ein, dass du im Gefängnis ein Nichts bist. Nichts.
Ich folgte den Wachleuten einen kurzen Gang entlang, durch eine letzte elektronisch gesicherte Tür und in einen kleinen Raum mit Metalltür, zwei Plastikstühlen und, auf der gegenüberliegenden Seite, einer dicken Plexiglaswand. Durch das Fenster sah ich meinen Vater im Nebenraum stehen. Er zeigte seinen Ausweis und unterschrieb irgendwas, mit einem Stift, der an das Klemmbrett gekettet war. Wenn die Mine leer ist, dachte ich, schmeißen sie wahrscheinlich das ganze Ding weg.
Er sah, dass ich zu ihm hinüberstarrte, und winkte mir zu. Sein letzter Besuch lag erst einen Monat zurück, aber er schien um Jahre gealtert, wirkte grauer, blasser, kleiner. Keine Frage, er hätte an diesem Spätsommermorgen auch Angenehmeres vorhaben können, als seinen einzigen Sohn aus dem Gefängnis abzuholen.
Meine Strafe war um Mitternacht abgegolten; so machensie es. Zwei Jahre lang waren meine Tage strukturiert gewesen durch Licht an, Mahlzeiten, Licht aus, nichts hatte die Langeweile durchbrochen als Willkür und gelegentliche Gewalt. Heute waren die Wachleute – zum ersten Mal höflich, ja beinahe respektvoll – ein paar Minuten zu früh gekommen. Das machte nichts, ich hatte sowieso nicht geschlafen.
»Viel Glück, Jason.« Mein Zellengenosse war auch wach. Er hatte von seinen zwei Jahren noch vier Monate vor sich. Ihm gehörte eine Waschstraße, und er war zum Steuerverweigerer geworden, weil er den im Internet verbreiteten Blödsinn geglaubt hatte, dass die Einkommensteuer verfassungswidrig sei. Wegen läppischer Hunderttausend oder so lebte er nun deshalb auf Staatskosten und lernte die harten Fakten hinter Recht und Verfassung kennen.
»Pass auf dich auf, Myron. Ruf mal an.«
Ich bezweifelte, dass er das tun würde. Wir würden uns beide nicht an den Ort erinnern wollen, an dem wir einander kennengelernt hatten.
Als die beiden Wachleute mich den Gang entlang und aus dem Block führten, murmelte der eine oder andere Insasse mir aus seiner dunklen Zelle einen Abschiedsgruß zu. In Otisville war die Klientel etwas homogener, nicht ganz so auf Konfrontation aus wie die in der Vollzugsanstalt Ray Brook, wo ich die ersten achtzehn Monate meiner Strafe abgesessen hatte. In Otisville konnte man eine Runde Karten spielen, ohne am nächsten Tag beim Freigang attackiert zu werden. Nicht dass ich mich hier mit jemandem angefreundet hätte; ich war einfach nur ein paar Weggefährten begegnet.
Zwei Jahre. Zwei Jahre zuvor, als Anklage und Verteidigung über ein milderes Strafmaß bei einem Teilgeständnis verhandelten, dachte ich, ich hätte mich verhört. »Zwei Jahre.« Für eine Buchungsschieberei? Lächerlich. Da zahlst du eine Geldbuße, und weiter geht’s. Strafe abgegolten. So läuftes doch bei solchen Sachen. Aber die Bundesbehörden wollten meinen Skalp. Es war bei den Falschbuchungen um eine halbe Milliarde gegangen, eine große Investmentbank war darüber ins Wanken geraten. Die Aktie rauschte in den Keller. Die Investoren waren außer sich. Die Schwiegermutter des Präsidenten verlor an die zehntausend Dollar! Die Behörden brauchten einen, den sie an den Pranger stellen und mit Steinen und faulen Eiern bewerfen konnten. Da kam ich ihnen gerade recht.
Zuerst war ich im Gefängnis Ray Brook, ungefähr einen langen Homerun von der kanadischen Grenze entfernt, oben in den Adirondacks. Da ging es richtig zur Sache. Wenn man wegen eines Wirtschaftsdelikts in Haft muss, stellt man sich ja irgendwie vor, dass man seine Zeit damit zubringen wird, sich mit ein paar Gleichgesinnten über die neueste Ausgabe des Finanzmagazins Barron’s auszutauschen und über sein Portfolio zu diskutieren. Muskeltraining, sich einen Bart stehen lassen, endlich mal wieder ein paar Bücher lesen. So war es nicht.
Die meisten Insassen waren wegen Drogenvergehen da, wegen Schutzgelderpressung oder wegen beidem. Es war ein äußerst erhellender Master-Kurs über Muster der Konfrontation in der modernen Bandenkultur. Ich habe gerade so bestanden. Das Machogehabe an der
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