Akte X
die Dunkelheit. »Wird der Hund wieder gesund?«
Er schluckte hart und stapfte dann am Kühler des Wagens vorbei ins feuchte Unterholz. »Einen Moment, Schätzchen. Ich seh mal nach.«
Der Hund lag zuckend auf dem Boden, ein großer schwarzer Labrador mit zerschmettertem Schädel. Er bewegte sich noch, versuchte sich in die Brombeersträucher zu schleppen, hinter denen ein Stacheldrahtzaun den Weg ins dichtere Unterholz versperrte. Aber er war zu schwer verletzt.
Der Hund winselte. Seine Rippen waren gebrochen, und Blut tropfte von seiner schwarzen Nase. Jesus, warum war das arme Tier nicht auf der Stelle gestorben? Es hätte ihm viel Leid erspart.
»Am besten bringen wir ihn zum Arzt«, riß ihn Rorys Stimme aus seinen Gedanken. Er hatte nicht gehört, wie der Junge ausgestiegen war. Seine Frau stand neben der Beifahrertür. Sie sah ihn mit aufgerissenen Augen an, und er schüttelte andeutungsweise den Kopf.
»Ich glaube nicht, daß ihm ein Arzt noch helfen kann, Sportsfreund«, sagte er.
»Wir können ihn nicht einfach hier lassen«, protestierte Megan. »Wir müssen ihn zu einem Tierarzt bringen.«
Er starrte den schrecklich zugerichteten Hund an, dann den zerbeulten Mietwagen, und fühlte sich völlig hilflos. Seine Frau stützte sich auf die offene Tür. »Richard, im Kofferraum liegt eine Decke. Wir können Platz schaffen, indem wir die Koffer zu den Kindern auf den Rücksitz packen. Wir bringen den Hund zur nächsten Tierklinik. In der nächsten Stadt müßte es eine geben.«
Richard sah die Kinder an, seine Frau und den Hund. Er hatte absolut keine Wahl. Er schluckte seinen Protest hinunter, denn er wußte, daß es keinen Sinn hatte, und holte die Decke, während seine Frau die Koffer umlud.
Die nächste größere Stadt entlang der Straße, Lincoln City, lag direkt an der Küste. Die Straßenbeleuchtung war ausgeschaltet, und bis auf das fahle Licht, das durch heruntergelassene Wohnzimmerjalousien sickerte, hinter denen die Bewohner fernsahen, war alles dunkel. Während er durch die Stadt fuhr und verzweifelt nach einer Tierklinik suchte, fragte er sich, warum die Bewohner bei Sonnenuntergang nicht gleich die Bürgersteige hochgeklappt hatten.
Endlich entdeckte er ein unbeleuchtetes Schild mit der Aufschrift Hugharts Familien-Tierklinik und steuerte den leeren Parkplatz an. Megan und Rory schluchzten auf dem Rücksitz; seine Frau saß schweigend, mit zusammengekniffenen Lippen, an seiner Seite.
Richard eilte die Betontreppe hinauf und klingelte an der Tür des Tierarztes. Dann trommelte er so lange mit den Fingerknöcheln gegen das Fenster, bis im Flur das Licht anging. Als ein alter Mann durch die Scheibe spähte, rief Richard: »Wir haben einen verletzten Hund im Wagen. Wir brauchen Ihre Hilfe.«
Der alte Tierarzt zeigte nicht die geringste Überraschung, als hätte er nichts anderes erwartet. Er schloß die Tür auf, und Richard deutete auf den Subaru. »Wir haben ihn auf dem Highway angefahren. Ich ... ich fürchte, es steht ziemlich schlimm um ihn.«
»Ich werde sehen, was ich für ihn tun kann«, sagte der Tierarzt und trat an den Kofferraum des Wagens. Richard klappte die Hecktür hoch, und Megan und Rory stiegen neugierig aus und schauten mit großen, hoffnungsvollen Augen zu. Der Tierarzt warf einen Blick auf die Kinder, sah dann Richard an und nickte verstehend.
Im Kofferraum lag der blutende Hund und war trotz seiner schweren Verletzungen noch immer am Leben. Zu Richards Überraschung wirkte der schwarze Labrador kräftiger als zuvor, regelmäßig atmend, tief schlafend. Der Tierarzt musterte ihn, und das undurchdringliche Gesicht des alten Mannes verriet Richard, daß für den Hund keine Hoffnung mehr bestand.
»Das ist aber nicht Ihr Hund, oder?« fragte der Tierarzt.
»Nein, Sir«, antwortete Richard. »Er hat auch keine Marke. Ich habe jedenfalls keine gefunden.«
Megan spähte in den Kofferraum. »Wird er wieder gesund, Mister?« fragte sie. »Kommen wir wieder zurück, um ihn zu besuchen, Daddy?«
»Wir müssen ihn hier lassen, Schätzchen«, erklärte er. »Dieser Mann wird sich schon um den Hund kümmern.«
Der Tierarzt lächelte sie an. »Natürlich wird er wieder gesund«, versicherte er. »Ich habe ein paar ganz besondere Verbände für ihn.« Er blickte zu Richard auf. »Wenn Sie mir helfen, ihn in den Behandlungsraum zu tragen, können Sie gleich weiterfahren.«
Richard schluckte hart. So, wie ihn der alte Mann durchschaute, mußte er jede Woche derartige
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