Akte X
Öffentlichkeit zu tragen.« Scully musterte die verkohlten Ruinen.
»Eben, Scully. Irgend jemand wollte wirklich, daß die Experimente aufhören.«
»Was für Forschungen hat Kennessy denn betrieben, daß die Gruppe so empört darüber war?«
»Die Informationen darüber sind sehr vage«, erklärte Mulder stirnrunzelnd. Seine Stimme klang jetzt besorgt. »Neue Techniken zur Behandlung von Krebs — wirklich bahnbrechendes Zeug -, an denen er zusammen mit seinem Bruder Darin jahrelang gearbeitet hat. Sie haben dabei ziemlich ausgefallene Verfahren ausprobiert. David war der Biologe und medizinische Chemiker, während Darin seine Erfahrung auf dem Gebiet der Elektrotechnik einbrachte.«
»Elektrotechnik und Krebsforschung?« fragte Scully. »Eine ungewöhnliche Kombination. Hat er ein neues Be-handlungs- oder Diagnosegerät entwickelt?«
»Unbekannt«, sagte Mulder. »Offenbar ist es vor sechs Monaten zu einem Zerwürfnis zwischen Darin Kennessy und seinem Bruder gekommen. Er gab seine Stellung bei DyMar auf und schloß sich einer Splittergruppe von Survivalisten in der Wildnis Oregons an. Überflüssig zu sagen, daß er telefonisch nicht erreichbar ist.«
Scully blätterte weiter in der Broschüre, aber die einzelnen Mitglieder des Teams waren nicht aufgeführt. »Dann hat David Kennessy also ohne seinen Bruder weitergemacht?«
»Ja«, bestätigte Mulder. »Zusammen mit ihrem Forschungsassistenten Jeremy Dorman. Ich habe versucht, ihre Aufzeichnungen und Berichte aufzuspüren, aber die meisten Dokumente wurden aus den Akten entfernt. Soweit ich weiß, hat sich Kennessy auf obskure Techniken konzentriert, die noch nie zuvor in der Krebsforschung eingesetzt wurden.«
Scully runzelte die Stirn. »Aber warum sollte jemand so gewalttätig darauf reagieren? Wie weit ist er mit seinen Forschungen gegangen?«
Mulder trank einen Schluck Kaffee. »Nun, offenbar gefiel es einigen Mitgliedern des Mobs nicht, daß Kennessy ein paar angeblich brutale und ungenehmigte Tierversuche durchgeführt hat. Ich kenne keine Einzelheiten, aber ich vermute, der gute Doktor hat ein wenig gegen die Grundsätze der Genfer Konvention verstoßen.« Mulder zuckte die Schultern. »Die meisten Aufzeichnungen sind verbrannt oder vernichtet, und es ist schwer, irgendwelche konkreten Informationen zu bekommen.«
»Ist jemand bei dem Feuer verletzt worden?« fragte Scully.
»Nach meinen Informationen sind Kennessy und sein Forschungsassistent Jeremy Dorman bei der Explosion umgekommen. Sie Suchtrupps hatten Mühe genug, die Körperteile überhaupt zu finden, geschweige denn sie zu identifizieren. Irgend jemand muß gleich ein paar Bomben gelegt haben. Diese Gruppe meinte es ernst, Scully.«
»Das ist ja alles sehr aufregend, Mulder, aber was interessiert Sie daran?«
»Dazu komme ich gleich.«
Scully runzelte die Augenbrauen und betrachtete wieder
das Hochglanzfoto des ausgebrannten Labors. Dann gab sie Mulder die Aufnahme zurück.
An den anderen Tischen saßen Leute in Straßenanzügen und unterhielten sich angeregt, ohne darauf zu achten, ob jemand zuhörte. Scully, Bundesagentin mit Haut und Haaren, spitzte unwillkürlich die Ohren. An einem Tisch diskutierte eine Gruppe von NASA-Mitarbeitern die Entwürfe und Modifikationen einer neuen interplanetaren Sonde, während an einem anderen Tisch andere Männer in gedämpftem Tonfall darüber debattierten, wie sich das Budget des Weltraumprogramms am besten kürzen ließ.
»Kennessy ist vorher offenbar bedroht worden«, sagte Mulder, »aber diese Gruppe kam aus dem Nichts und brachte gleich eine große Menge auf die Beine. Ich habe vor dem DyMar-Zwischenfall nirgendwo einen Hinweis auf eine Organisation namens Befreiung Jetzt gefunden, bis der Portland Oregonian das Bekennerschreiben erhielt. »
»Warum hat Kennessy unter derartigen Umständen eigentlich weitergearbeitet?« Scully griff wieder nach der bunten Broschüre und überflog die üblichen Propagandaerklärungen wie »neuer Durchbruch in der Krebsforschung«, »erstaunliche Behandlungsalternativen« und »ein Heilmittel ist greifbar nah«. Sie holte tief Luft. Seit den fünfziger Jahren gaben Onkologen dieselben Phrasen von sich.
Mulder zog ein weiteres Foto aus der Aktentasche; es zeigte einen elf- oder zwölfjährigen Jungen. Er lächelte in die Kamera, sah aber ausgezehrt und schwach aus, mit eingefallenem Gesicht, grauer, papierdünner Haut und ausgefallenen Haaren.
»Das hier ist Kennessys zwölfjähriger Sohn Jody, unheilbar an
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