Akte X
Blutfleck aus.
Genausowenig wie diesen Blutfleck registrierte er die blutverschmierte weiße Plastikmanschette um sein linkes Handgelenk oder die zerschrammten blutverkrusteten Fingerknöchel der Hand, mit der er das Fenster von Dana Scullys Apartment eingeschlagen hatte. Eigentlich registrierte Duane Barry kaum irgend etwas. Deshalb war ihm auch nicht bewußt, weshalb er den Wagen plötzlich hart nach rechts herumriß und in eine andere Straße einbog, als vor ihm ein Verkehrsschild mit der Aufschrift Route 229 auftauchte. Aber irgendwie wußte er einfach, daß er genau das tun mußte.
Sein Kopf begann sich wieder zu bewegen, schaukelte langsam im Rhythmus der Musik. »You'll see him in your head on the TV screen«, versprach Nick Cave unheilvoll. »And hey, buddy, I'm warning you to turn it off. He's a ghost, he's a God, he's a man, he's a guru...«
Duane Barry fuhr weiter. Die orangefarbene Tachonadel, die er ebenfalls nicht registrierte, hatte sich mittlerweile zwischen 85 und 90 Meilen pro Stunde eingependelt.
6
Hilflos gefesselt, ohne daß sie sich hätte rühren können, lag Dana Scully im Kofferraum ihres eigenen Wagens und hörte die Musik, die so laut war, daß der dumpfe Baß die Kofferraumverkleidung vibrieren ließ. »You're one microscopic cog in his catastrophic plan. Designed and directed by his red right hand...« Rote rechte Hand, dachte sie. O mein Gott...
7
Highway Patrol Officer Roger McCammon parkte seit nunmehr fast einer Stunde in einem kleinen Seitenweg direkt neben der Route 229. Die heutige Ausbeute war wirklich nicht schlecht. Bisher sechs Strafzettel wegen überhöhter Geschwindigkeit und einer wegen Alkohol am Steuer. Noch zwei bis drei weitere, und sein Pensum für diesen Tag wäre erfüllt. Dann konnte er sich überlegen, ob er vielleicht auf ein Stück Apfelkuchen und eine Tasse Kaffee zu Julie fahren sollte, der niedlichen neuen Bedienung im Truckstop am Highway 12.
Ungläubig starrte er dem Wagen hinterher, der so schnell über die 229 an ihm vorüberschoß, daß er nicht einmal das Nummernschild lesen konnte. Guter Gott, dieser Irre mußte mindestens 90 Meilen fahren!
McCammon schaltete gleichzeitig die Sirene und das Warnlicht an. Die durchdrehenden Räder schleuderten eine Kiesfontäne in die Luft, als er seinen Streifenwagen auf die Fahrbahn lenkte. Trotzdem war der Raser fast schon in der dunstigen Ferne verschwunden, bevor Highway Patrol Officer McCammon sein Fahrzeug herumgerissen hatte und beschleunigen konnte.
»Mist«, murmelte er und malträtierte den Motor, bis er brüllte. Kurz darauf entspannte er sich wieder. Bei 110 Meilen in der Stunde vibrierte sein Wagen zwar heftig, aber er wußte, daß er die Spur problemlos halten würde. Und die Entfernung zu dem Raser vor ihm schrumpfte bereits zusammen, auch wenn der Kerl nicht langsamer wurde.
Mal sehen... Geschwindigkeitsüberschreitung, rücksichtsloses Fahren, vielleicht der Versuch, einem Polizisten zu entkommen, vielleicht sogar Widerstand bei der Festnahme... Ein guter Fang. Aber der Kerl mußte wirklich verrückt sein. Diese Straße war nicht für eine derartige Raserei gebaut. Vermutlich war der Typ betrunken.
8
Es dauerte eine Weile, bevor das dünne Jaulen der Sirene die dröhnende Musik aus den Lautsprechern übertönte und durch den Nebel der Besessenheit in Duane Barrys Kopf drang. Er warf einen Blick in den Rückspiegel und entdeckte die rot und blau blinkenden Warnlichter.
Zuerst konnte er überhaupt nichts damit anfangen.
Ihm war nicht klar, wie das irgend etwas mit ihm zu tun haben könnte. Er wußte, wohin er unterwegs war. Zumindest irgendwie... Und er wußte verdammt genau, wer ihn dorthin beorderte. Alles andere war egal. Im Grunde war alles andere sogar nicht einmal real.
Er legte den Kopf ein wenig schief und sah das Spiegelbild seines Gesichts im Rückspiegel, einen rechteckigen Ausschnitt mit seiner Augenpartie, dem Nasenrücken, der Narbe auf seiner Stirn...
Die Narbe.
Tief in seinem Inneren rastete irgend etwas mit einem Klicken ein.
Alles veränderte sich.
Panik raste durch seine Venen und Arterien, eine zweispurige Feedbackschleife, die seinen Schädel mit weißem Feuer flutete. Er stöhnte leise, und dann zog sich seine Kehle zusammen, so wie es immer geschah, und er bekam keine Luft mehr.
Das Licht!
Klick.
Es war wieder vorbei. Jetzt hielt er die Luft freiwillig an. Er hatte seinen Körper wieder unter Kontrolle, und er war in die reale Welt zurückgekehrt. Die Lichter in
Weitere Kostenlose Bücher