Akunin, Boris - Pelagia 01
sind uns nicht diejenigen die liebsten Menschen, die uns Gutes getan, sondern diejenigen, denen wir Wohltaten erwiesen haben und von denen wir dafür – unser ewiger Irrtum – unendliche Dankbarkeit erwarten. Offenbar war das der Grund dafür, dass Konstantin Petrowitsch den Sünder, den er gerettet hatte, von ganzem Herzen lieb gewann und große Hoffnungen auf ihn setzte, zumal Bubenzow, wie allgemein anerkannt wurde, sich als talentierte und unermüdliche Arbeitskraft erwies. Es wurde erzählt, dass er tatsächlich ein anderer geworden sei, der Rauflust gänzlich entsagt habe und dem weiblichen Geschlecht gegenüber äußerste Vorsicht walten lasse. Seine erste verantwortungsvolle Mission, die Ausrottung der Skopzensekte (Skopzen – Selbstverstümmler, religiöse Sekte in Russland. D.Ü.) in einem der nördlichen Gouvernements, habe er so entschlossen und energisch bewältigt, dass er von seinem Wohltäter größtes Lob erntete und sogar einer Allerhöchsten Audienz gewürdigt wurde. Selbstredend finden sich für jeden Liebling Fortunas böse Zungen. Von dem neuen Günstling des Oberprokurors hieß es, er sei weniger um die große Zukunft Russlands besorgt als um seine eigene Zukunft in diesem zukünftigen Russland, aber erheben wir diesen Vorwurf nicht gegen jeden Staatsmann mit ganz wenigen Ausnahmen?
Einen so ungewöhnlichen Abgesandten also hatte die oberste Kirchenbehörde in das verschlafene Sawolshsker Reich geschickt, um daselbst Verwirrung und einen Umschwung herbeizuführen. Die Methode, deren sich Bubenzow bediente, um seine noch nicht ganz klaren Ziele zu erreichen, war so originell, dass sie verdient, ausführlich beschrieben zu werden.
Als Erstes machte der Emissär des Heiligen Synods eine Reihe von Besuchen. Er begann mit dem Gouverneur, das verlangten die Höflichkeit und der offizielle Charakter seiner Reise.
Anton von Gaggenau, der das bislang Geschilderte über den Gast aus der Hauptstadt bereits wusste, war gefasst auf einen Neophyten, einen Zöllner Matthäus, eine besonders gefährliche Abart von Glaubenshüter, und wappnete sich mit größter Vorsicht. Dafür war seine Frau Ljudmila, deren Phantasie weniger die geistige Wiedergeburt dieses Kudejar (Kudejar - legendärer Räuberhauptmann des 16. Jahrhunderts. D.Ü.) entflammte als vielmehr dessen früheres Sündenleben, unversöhnlich gestimmt, obwohl sie ein wenig Herzklopfen hatte. Die Gouverneursgattin malte sich aus, wie in ihrem gemütlichen Salon ein infernalisch schöner Mann erschien, ein Verderber unschuldiger Jungfrauen, ein Wolf im Schafpelz, und hielt sich bereit, einerseits nicht seinem satanischen Zauber zu erliegen und andererseits den Unhold in seine Schranken zu weisen, denn Sawolshsk, das ist nicht das lasterhafte Sankt Petersburg, wo die Frauen leicht zugänglich und sittenlos sind.
Es ist ja so, dass mit einer Reputation wie der Bubenzows, noch dazu in der Provinz, wo es wenig Auswahl gab, jeder Mann von leidlichem Aussehen alle Chancen gehabt hätte, als »interessanter Typ« zu erscheinen.
Gleichwohl war die Gouverneursgattin im ersten Moment tief enttäuscht. Den Salon betrat, sich verbeugend, ein feingliedriger, um nicht zu sagen, schwächlicher Herr um die dreißig, ganz außerordentlich beweglich in den Gelenken (»schlenkrig« nannte es Ljudmila Petrowna, die sich gern anschaulich ausdrückte). Um der Gerechtigkeit willen räumte sie ein, dass der Besucher gut gebaut war. Seine schmale Figur hatte die federnde Geschmeidigkeit einer Rapierklinge, aber das verlieh ihm eine unvorteilhafte Ähnlichkeit mit dem Stutzer Dudeval, dem Tanzlehrer am Sawolshsker Pensionat für adlige Fräulein. Auch das Gesicht Bubenzows war nicht schön: scharfe räuberische Züge, Hakennase und helle starre Augen, die etwas Eulenhaftes hatten. Das einzig Attraktive an dieser Physiognomie waren die geschwungenen Brauen und die dichten Wimpern. Ljudmila mutmaßte sogleich, dass er damit seine unglücklichen Opfer verführt hatte. Um aber der Hausherrin der Gouverneursvilla zu gefallen, bedurfte es wesentlicherer Vorzüge, was sie ihm auch zu verstehen gab, indem sie ihm die Hand zum Kuss verweigerte.
Zu Beginn des Gesprächs erregte der Petersburger Fant noch mehr ihr Missfallen. Seine Stimme war leise, träge, und er dehnte die Vokale lässig in die Länge. Auf seinem Gesicht spielte ein gelangweiltes liebenswürdiges Lächeln.
In der Folgezeit, als die Sawolshsker Bubenzow besser] kennen lernen konnten, wurde deutlich, dass er
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