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Akunin, Boris - Pelagia 01

Akunin, Boris - Pelagia 01

Titel: Akunin, Boris - Pelagia 01 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pelagia und die weissen Hunde
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eine zottige Papacha und einen geflickten Tscherkessenrock, stieß Adlerschreie aus und rollte wild mit den Augen, die so blutunterlaufen waren wie die der Pferde. Bei diesem Anblick riss der Wächter den Mund auf und fragte nicht einmal nach dem Reiseschein. Durch das Fensterchen der Kutsche sah er einen würdigen grauhaarigen Mann, der ihm gnädig zunickte, und im Hintergrund des Wagens undeutlich einen zweiten mit spitznasigem Profil und beängstigend funkelnden Augen. Die Kutsche polterte dröhnend über das Pflaster, überquerte den Kirchplatz und bog in den Torweg des ersten Hauses am Platze, des Hotels »Zum Großfürsten«, ein. Des weiteren wird erzählt, dass in dem Moment, da die Kutsche an der bischöflichen Klosterkirche vorbeisauste, eine Erscheinung zu sehen war: Ein Rabenschwarm kam geflogen und verscheuchte von den Kreuzen der Kirche die Tauben, die diesen erhöhten Punkt seit undenklichen Zeiten als ihren althergebrachten Besitz ansahen. Aber dieser Rabenüberfall war sicherlich frei erfunden, denn in unserer Stadt lügt man gern und einfallsreich.
    Tags darauf hatte sich herumgesprochen, dass ein Revisor vom Synod in der Stadt eingetroffen sei, ein Beamter für Sonderaufträge beim Oberprokuror Pobedin, der im russischen Imperium nur beim Vor – und Vatersnamen benannt wurde. Es hieß: »Konstantin Petrowitsch hat gestern dem Zaren Hinweise gegeben« oder etwa: »Konstantin Petrowitsch ist auf dem Wege der Besserung«, und niemand fragte, wer dieser Konstantin Petrowitsch sei – es war auch so klar.
    Politisch wohl unterrichtete Leute erklärten sogleich im Brustton der Überzeugung, Konstantin Petrowitsch sei mit dem Gouvernement unzufrieden, und dem Bischof wie auch dem Gouverneur Anton von Gaggenau drohten große Unannehmlichkeiten. Sie wussten auch den Grund: Die Sawolshsker Regenten seien nicht eifrig genug bei der Ausrottung anderer Glaubensrichtungen und bei der Verbreitung der Orthodoxie.
    Auch über die Person des Revisors wurde einiges bekannt. Unsere Stadt liegt zwar weit entfernt von den Hauptstädten, dennoch leben wir nicht hinter dem Mond. Wir haben eine vornehme Gesellschaft, unsere Aristokratie bringt ihre Töchter in der Ballsaison nach Petersburg, und sie korrespondiert mit Bekannten. Somit erfahren wir in Sawolshsk von allen bemerkenswerten und interessanten Ereignissen in der großen Welt.
    Wladimir Lwowitsch Bubenzow entpuppte sich als eine höchst interessante Figur. Bis zum Skandal des vorigen Jahres, der nicht nur in Privatbriefen aus Petersburg, sondern auch in der Presse aufs eingehendste beschrieben wurde, hatte er in der Garde gedient und im Ruf eines liederlichen und gefährlichen Menschen gestanden, keine Seltenheit bei unseren glänzenden Gardisten. Er hatte früh sein Erbe angetreten, hatte es früh mit Gelagen durchgebracht, war dann abermals reich geworden, und zwar im Kartenspiel, mit dem er so erfolgreich war, dass es sogar auf Duelle hinauslief, jedoch ohne Folgen. Unsere Oberen üben ja Nachsicht gegenüber Offiziersduellen, wenn die nicht tödlich enden und keine schweren Verletzungen zur Folge haben, sie fördern sie sogar in gewissem Grade, da sie darin eine Festigung des ritterlichen Geistes und der militärischen Ehre sehen. Aber der Krug geht bekanntlich so lange zum Brunnen, bis er bricht.
    Außer den Karten hatte Bubenzow eine weitere Leidenschaft – die Frauen, er galt als einer der verwegensten Schürzenjäger der Hauptstadt. Aber nun hatte er ein Mädchen aus einer zwar nicht vornehmen, doch angesehenen Familie verführt und war zudem so grausam mit ihr umgegangen, dass die Ärmste versucht hatte, sich aufzuhängen. Solche Geschichten wurden Bubenzow reichlich nachgesagt, doch diesmal kam er nicht so ohne weiteres davon. Das Mädchen hatte zwei Brüder, der eine Offizier, der andere Student. Von Bubenzow wussten alle, dass er ein begnadeter, genauer, ein teuflischer Schütze war und Duelle nicht fürchtete, denn er konnte seinem Gegner mit einer Kugel die Waffe aus der Hand schießen und hatte das schon mehr als einmal getan. Für einen Raufbold, der vom Kartenspiel lebt, ist solch eine Reputation unumgänglich, denn sie schützt ihn zuverlässig vor dem Verdacht des Falschspiels und vor überflüssigen Skandalen.
    Die Brüder des Mädchens wussten, dass nur mit einer Herausforderung keine Satisfaktion zu bekommen war, und beschlossen, auf ihre Weise mit dem Beleidiger abzurechnen. Beide waren kühne junge Männer von hünenhaftem Körperbau, die

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