Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Rätsel Sigma

Das Rätsel Sigma

Titel: Das Rätsel Sigma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl-Heinz Tuschel
Vom Netzwerk:
Ein schöner Sonntag ging zu Ende. Der Mai des Jahres 1996 hatte bis Mitte der Woche nur Kälte und Regen gebracht, einmal war sogar so etwas wie Schnee auf die mecklenburgische Kreisstadt Neuenwalde herabgerieselt. Am Donnerstag endlich hatten die Meteorologen mit strahlendem Lächeln vor die Kameras des Bezirksfernsehens treten können, um für das Wochenende fast sommerliche Wärme anzukündigen.
    Nun dämmerte es bereits wieder, auf den Ausfallstraßen waren die Fahrbahnen, die in die Stadt zurückführten, mit Autos vollgestopft, die gegenüberliegenden dagegen gähnend leer. Oder so gut wie leer – der Verkehrspolizist an der Kreuzung warf nur ab und zu ein Auge stadtwärts. Jetzt kam gerade wieder mal einer, na, lassen wir den noch vorbei, und dann die von links, nanu, wie fährt denn der, das gibt's doch gar nicht, der fährt ja wie eine gesengte… Was ist denn nun los?
    Der Polizist pfiff zweimal, dreimal. Der Wagen, schon über die Kreuzung hinaus, rollte schräg über die Straße, streifte den Bordstein, ein paar Passanten schrien auf und sprangen beiseite, aber er nahm wieder Richtung auf die Straßenmitte, zum Glück wurde er langsamer, fuhr aber direkt auf den Verkehrsstrom zu, der die andere Straßenseite füllte, Bremsen quietschten, es krachte, Glas splitterte…
    Längst war der Polizist von seinem Podest gesprungen. Er rannte zum Unfallort. Der Wagen hatte einen anderen leicht gestreift und war dann gegen einen Peitschenmast der Straßenbeleuchtung gefahren.
    Leute standen herum, diskutierten, schimpften, machten aber sofort den Weg frei. Der Polizist öffnete die Tür des Wagens, der Fahrer rutschte heraus. Vorsichtig fing ihn der Polizist auf und ließ ihn langsam zu Boden gleiten. Dann kniete er neben ihm, brachte seine Nase in die Nähe des Mundes, danach sein Ohr, schüttelte den Kopf, rief „Ruhe mal!“ horchte wieder, und jetzt hörten es auch die Umstehenden: Da schnarchte jemand. „Der Kerl schläft ja!“ sagte der Polizist verblüfft.
     

SONNTAG NACHT
    Auch in der Bezirkshauptstadt, die rund fünfzig Kilometer nordwestlich von Neuenwalde lag, war der Sonntag herrlich gewesen. Herbert Lehmann, kurz vor dem Einschlafen, rekelte sich wohlig im Bett. Einen guten Marxisten verläßt der liebe Gott nicht, dachte er. Dieses Wetter heute war das Beste gewesen, was ihnen zustoßen konnte. Der Ausflug in die Umgebung, das erste Freibad in diesem Jahr hatten Wiebke aus ihrer sorgenvollen Stimmung herausgerissen, hatten die Gedanken von dem mißglückten Experiment am Donnerstag abgedrängt, von diesem unglückseligen Experiment, das ihre Arbeit hatte krönen sollen. In Wiebkes Kopf hatte es das Wochenende über ausgesehen wie in einer erdbebenzerstörten Stadt – ein paar Gedanken irrten einsam darin herum… Zum Glück ist in Köpfen leichter Ordnung zu schaffen als in Städten, aber ein schönes Stück Arbeit war es trotzdem gewesen. Na gut, jetzt lag Wiebke jedenfalls friedlich neben ihm und schnarchte.
    Herbert lächelte. Wenn ihre Leute sie so sehen könnten, oder vielleicht hören! Für ihre Kollegen war es sicherlich unvorstellbar, daß diese Wiebke Lehmann mit ihren originellen, manchmal sprunghaften, aber immer ein bißchen genialen Einfällen und mit ihrem unwiderstehlichen Charme nachts schnarchen könnte.
    Herbert war wieder einmal stolz auf seine Frau, obwohl dazu im Augenblick eigentlich gar kein Grund vorlag. Und auch stolz auf sich selbst, weil er mit ihr so gut zurechtkam. Oder richtiger, weil er es auf seine langsame Art verstand, sie so zu behandeln, daß sie mit sich selbst zurechtkam. Immerhin hatte er ihr versprechen müssen, diesen ganzen mißglückten Versuch noch einmal auf seinem „Minsk 5000“ in der Bezirksinspektion durchzurechnen. Nur um diesen Preis war sie bereit gewesen, den Ausflug mitzumachen. Er mußte also zusehen, wie er morgen die Stunde von seinem reichlich bemessenen Programm abknapsen konnte. Gerade montags, wenn die Meldungen vom Wochenende…
    Herbert schreckte auf. Das Video läutete.
    Immer wenn er die Beine aus dem Bett streckte und auf den Fußboden setzte, fühlte er sich angenehm berührt; einmal, weil dieser Klimatik-Belag so warm und fußfreundlich war, und zum anderen, weil er ihn an den Auflauf erinnerte, den es beim Kauf gegeben hatte, als er ihn unbedingt mit nackten Füßen ausprobieren wollte…
    Auf dem Videoschirm leuchtete die mächtige Glatze des Bezirksinspektors. Herbert drückte die Tontaste. „Lehmann!“ meldete er sich.

Weitere Kostenlose Bücher